Wie ich in New York das weltbeste Barbecue verschmähte

In der US-amerikanischen Serie Sex and the City schockte Miranda ihre Freundinnen dereinst mit ihrem Vorhaben, das propere Manhattan zu verlassen, um ein Haus in Brooklyn zu beziehen. Brooklyn? Was anderes sollte einen dort erwarten als Armut, Schießereien, Raubüberfälle? Heute gehört der Stadtteil jenseits des East Rivers zum New York-Pflichtprogramm wie Central Park und Staten Island Ferry. Im Norden grenzt Williamsburg an das Viertel Greenpoint, nordöstlich beginnt der Stadtteil Queens. Im Osten liegt Bushwick, im Südosten Bedford-Stuyvesant und im Süden Clinton Hill und Vinegar Hill. Einige Ecken in Brooklyn sind längst kein Geheimtipp mehr, sondern ein Musterbeispiel für Gentrifizierung – nicht anders als die Hamburger Schanze oder der Prenzlauer Berg in Berlin. Allen voran: Williamsburg.

Gentrifizierung geht so: Ein Viertel mit ursprünglich niedrigen Mieten wird populär, sukzessive aufgewertet, die Mieten steigen. Nach den Künstlern und den Studenten kommen die Investoren und Gutverdiener. Entgegen der Erwartung des mit Berliner Verhältnissen sozialisierten Besuchers ist Williamsburg aber weit entfernt von der Aufgeräumtheit einer Kastanienallee. Wer an der Subway-Station Macy Avenue aussteigt und zu Fuß Richtung Metropolitan Avenue läuft, dem begegnen unterwegs Kampfhunde ohne Maulkorb, trainierte Männeroberame in Feinrippunterhemden, die Latinoschönheiten hinterherpfeifen. Ein windschiefes Häuschen schmiegt sich ans andere, viele überspielen ihre Verwahrlosung mit poppigen Farben. Die Straßen mit den vielen Schlaglöchern sind eine Herausforderung für jeden Fahrradfahrer.  Immerhin: Auch Fixies sind darunter, jene Eingangfahrräder ohne Bremse, ohne die kein echter Hipster auskommt.

Ach ja, der Hipster. Was wurde in den vergangenen Jahren nicht geschimpft, gelacht, gehasst gegen diesen Typus Großstädter, ohne eine abschließende Definition zu finden, was genau ihn ausmacht. Modisch affin sei er, auf Distinktion bedacht. Unfähig, selbst etwas hervorzubringen, picke er sich aus der Vergangenheit das für ihn Passende heraus, das Kassengestell aus den 60ern, die Nike Airs aus den 90ern, alles selbstverständlich ironisch, als Stilmittel gegen die Bedeutungslosigkeit. Über den Ursprung der Bewegung, die keine sein will – denn einen Hipster erkennt man daran, dass er sich gegen diese Zuschreibung wehrt – herrscht Unklarheit. Eine Theorie rekurriert auf die schwarzen Anhänger des Beebop der 1950er Jahre, andere verstehen das Hipstertum als eine negative Reminiszenz auf den White Trash, jene weiße US-amerikanische Unterschicht in Feinrippunterhemden, die ihr Dasein in Trailerparks fristet. Und wieder andere, allen voran der Publizist Mark Greif, datieren den Beginn der Bewegung viel später, kurz vor der Jahrtausendwende. Für Greif liegt die Geburtsstätte des Hipsters genau hier: In Williamsburg.

Die Bar- und Coffeeshopdichte in den Straßen rund um den Brooklyn Broadway (der nichts zu tun hat mit seinem Manhattan-Pendant) ist längst nicht so hoch wie in Berlin-Neukölln oder München-Schwabing. Wie viel Luft nach oben ist, erahnt der Besucher auf der Suche nach einem vorgeblich besonders angesagten Ort: Der “Fetten Sau.”

Auf halber Höhe der Metropolitan Avenue versagt Googlemaps seinen Dienst. Selbst eine junge Einheimische hat von der “Fetten Sau” noch nie etwas gehört. Dabei soll es sich bei diesem herzig eingedeutschten Knallwort um New Yorks bestes Barbecuerestaurant handeln! Als wir endlich fündig werden, ist die Überraschung groß: Von einem Restaurant kann keine Rede sein. Eher ist die “Fette Sau” ein Provisorium mit Werkstattcharakter, eine nach vorne hin geöffnete Bretterbude am Ende eines unscheinbaren Hinterhofs. Völlig untypisch für hiesige Verhältnisse sitzen die Gäste sowohl im Freien als auch drinnen an langen Picknicktischen wie Hennen auf der Stange. Hatte der Reiseführer nicht davon abgeraten, sich zu fremden Menschen an den Tisch zu setzen, weil Amerikaner dies als unhöflich empfinden? Die Sitzbänke haben keine Lehnen und sind bretterhart. Von den Wänden hängen künstlich vergilbte Tapeten mit comichaften Fleischstücken, auf einem Flachbildfernseher glimmt ein unechtes Kaminfeuer. Das Herzstück der “Fetten Sau” ist die Bar, die sich fast über die gesamte Rückseite des Raumes zieht. Vom Weinkonsum ist abzusehen (geringe Auswahl, stolze Preise), besser, man orientiert sich dem rustikalen Ambiente entsprechend an der großen Auswahl hausgebrautem Bier namens Capt. Lawrence Liquid Gold, Coney Island Mermaid Pils oder Sixpoint Vienna Pale Ale. Oder wie wäre es mit einer der rund vierzig Sorten Whiskey? Nette Idee (und sehr hip!): Die Getränke kommen in Einweckgläsern.

Bestellt wird an der Theke. Bis wir dorthin vordringen, haben wir viel Zeit, um die Williamsburger bei ihrer Abendplanung zu beobachten, denn das Schlange stehen ist offenbar Teil der Performance. Wenn die Hipness ein Zuhause hat, dann hier: Überwiegend junge, gut gekleidete Menschen vertreiben sich die Wartezeit mit Drinks und dem neuesten Tratsch. Vereinzelte tragen Schnauzer und/ oder Nerdbrille. Eine dünne Frau auf Highheels kippt den Inhalt ihres Einweckglases über ihren Nebensitzer. Alle schreien gegen den Schrammelrock der Ramones an, entsprechend hoch ist der Geräuschpegel.

Nach fast einer Stunde sind wir nah genug an die Theke herangerückt, um einen Blick in die Vitrine zu werfen. Barbecue heißt hier: Fünf enorme Fleischberge schmoren wer weiß wie lange vor sich hin, einer davon in seinem Tiefschwarz optisch ungenießbar. Zur Auswahl stehen Schweinebauch, Schweinerippchen, Fleisch vom schwarzen Angusrind und, als Gourmetversion, Rib-Eye von Rindern aus dem Piemont. Daneben fettig glänzende Würstchen und Pulled Pork, geschabtes Fleisch von der Schweineschulter, ähnlich dem, was zuhause im Döner landet. Bezahlt wird per Kilo. Als Beilage wählt der Gast zwischen eingelegten Gurken, sauer-scharf mariniertem Broccoli (der an koreanisches Kimchi erinnert), Baked beans, Sauerkraut und “German Potatoe Salad.” Pommes sucht man vergeblich, stattdessen gibt es die in New York omnipräsenten Meersalz-Chips und schlabbrige Milchbrötchen. Die Desserts, Chocolate Cookie und hausgemachter Limetten-Pie, scheinen wenig gefragt. Serviert wird das Essen auf einem Backblech, was im Ergebnis anmutet wie ein expressionistisches Gemälde. Immerhin gibt es richtiges Besteck (oft muss man in New York mit Plastik vorlieb nehmen).

Und, wie schmeckt es dem deutschen Tourist in der “Fetten Sau”, der sich unter Barbecue wenig mehr vorstellen kann als die gleichnamigen Fertigsaucen zum Grillen? Das Pulled Pork ist zäh und trocken, die Brötchen erinnern an in Folie eingeschweißte Discounterware. Große Freude hingegen machen die Beilagen, allen voran der eingelegte Broccoli. Wahrscheinlich aber ist, dass die Menschen nicht der Beilagen wegen hierher strömen. Insgesamt bleibt das Essen hinter den Erwartungen an ein Barbecue im Superlativ zurück. Dafür entschädigt das kribbelige Gefühl von hipper Authentizität.

Josh beneidet uns um unser Abendessen. Mindestens ein Mal die Woche komme er in die “Fette Sau”, aber an einem Freitagabend sei die Schlange einfach zu lang. Josh und seine Freundin Annie sind Anfang 20 und arbeiten als Investmentberater an der Wallstreet. Annie stammt aus Michigan, ihr Freund aus London. Die Beiden leben im südlichen Teil von Williamsburg. Nicht, weil sie sich das hochpreisige Manhattan nicht leisten können, sondern, weil sie die unkonventionelle Atmosphäre hier schätzen, das Flimmern auf dem erhitzten Asphalt, die schräg kostümierten Lebemenschen, die Mischung aus hip und tough.

Unterwegs zur Subway-Station bleiben sie alle paar Meter stehen, um uns Ausgehtipps zu geben. Hätten wir uns nicht schon in der “Fetten Sau” durch das Whiskeysortiment probiert, müssten wir das im “Post Office” in der Havemeyer Street nachholen. In der “Trash Bar”, 256 Grand Street, treten lokale Bands auf, außerdem sei das Bier für New Yorker Maßstäbe erfreulich günstig. Ebenfalls gut für das Reisebudget sei die “Larry Lawrence Bar” ein paar Häuser weiter, wenngleich sehr viel stilvoller, mit Kerzenlicht und unverputzten Wänden. Leider habe der “Bagel Store” in der Bedford Avenue nur bis 22 Uhr geöffnet, aber wir sollten unbedingt wiederkommen, der Service sei zwar schnoddrig (was dem Wesen des Hipsters sehr entgegenkommt), die Bagel aber wirklich großartig. Woher wir denn kommen? Berlin? Das Bier solle sehr günstig sein dort.

Und das ist vielleicht das Erstaunlichste an diesem Ausflug nach Williamsburg: Von Berlin, dem angeblichen Epizentrums des Hipstertums, spricht hier keiner. Freunden von ihm habe es dort ganz gut gefallen, erinnert sich Josh, er selbst war aber noch nicht dort. Viel zu spannend sei es in seinem eigenen Viertel gerade. Nach Berlin gehe man, weil man einen Plan habe. Nach Williamsburg, weil man einfach da sein wolle.