was ist das für 1 frau

Eins

Mit ihr kann man Pferde stehlen. Zum Beispiel die Ponys auf der außerhalb von Scharbeutz gelegenen Koppel. Gegen eine Gebühr von fünfzehn Euro eine Dreiviertelstunde lang zum Wennsee oder Richtung Ostsee reiten. Robust sehen sie aus, mit kurzen, stämmigen Holzscheitbeinen und Mähnen in John-Frieda-Blond. Wir müssen nur das Holzgatter öffnen (Vorsicht vor den Misthaufen: immer weiße Schuhe) und das Vertrauen der Ponys wecken. Aus ihren extragroßen Manteltaschen holt sie Rosinen und ein paar Äpfel hervor, die strecken wir den Tieren entgegen. Ein Blick auf die Uhr, grau wie der Timmendorfer Himmel, sagt: Genug Zeit bis Sonnenuntergang, denn wir wollen weder Tiere noch Besitzer um ihren Schlaf bringen. Als sie aufsteigt, reibt die mortadellafarbene Hose am Ponyfell. Miu, mein Miu.

Zwei

So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Eher wie eine Mischung aus Queen Mary 2, nur ohne die lärmenden Hamburger, und Jonathan Franzens Korrekturen, jedenfalls von der Üppigkeit der Mahlzeiten her. In Wahrheit sind die Teppiche auf diesem Schiff nicht golden, sondern rentnerbeige, das Besteck nicht silbern, sondern vom italienischen Möbeldiscounter. Alle um sie herum sind so schrecklich alt. Seufzend schiebt sie die aquariumblaue Brille vom Haar zurück auf die Nase. Wenigstens der Himmel lügt Sommer. Eigentlich ist so eine Kreuzfahrt nur Warten. Warten auf die Zwischenmahlzeit, den Zumbakurs, den nächsten Hafen. Warten auf Dolce Vita. Glücklicherweise hat sie Vico mitgebracht. Ohne seinen Glamour ginge sie unter. Stück für Stück rückt sie den Stuhl dem Nachmittagslicht hinterher. Wenn sie nicht hier ist, ist sie auf dem Oberdeck.

Drei 

Das Schottenkaro ihres Trenchcoats ist natürlich ironisch gemeint. Montags, mittwochs und donnerstags holt sie Brot bei Hansel & Pretzel. Samstags trifft man sie auf dem Portobello Road Market. Manchmal kauft sie Burrata aus Apulien, manchmal toskanische Salsiccia, immer einen Strauß Gladiolen. Seltsamerweise schafft sie es, dabei gleichzeitig suchend und angekommen zu wirken, constantly. Zu gerne würde man sie auf eine Tasse Darjeeling einladen, sie fragen, wie sie es schafft, dass ihr niemand die Gazelle klaut und ihre goldweißen Sneaker niemals Dreckspritzer haben. In London! Dass sie Humor hat, beweist der Stoffelefant auf dem Rücksitz ihres diebstahlsicheren Zweirads. Wenn sie brav ist, bekommt Ella bei Hansel & Pretzel ein Lavendelscone.

Vier

Es gibt, das ist ja das Traurige, keine Sterne in Berlin-Mitte. Weil sie schon immer gut war in Physik, ist es ihr ein Rätsel, warum manche Menschen nicht wissen wollen, wie Sterne sterben? Fragender Blick hinter sorgfältig geputzten, millimeterdicken Brillengläsern (die Reflexe der Discokugeln sind auch nichts anderes als Engpässe der Retina). So oft wie möglich steigt sie in die S7 Richtung Grunewald. Stapft geduldig den Hang hinauf, das Gewicht des Teleskops auf ihrem Rücken. Im obersten Stock der Abhörstation – ein müder Wink der Vergangenheit in Richtung gläserner Bürger – packt sie den Inhalt des Rucksacks aus. Um diese Jahreszeit sind keine Easyjetter hier und selbst die Raver sparen sich ihre Energie bis zum Wochenende auf. Sie nimmt Platz auf dem knisternden Tannengrün ihrer Bomberjacke. Mickey Mouse weiß: Die Sterne stehen gut. Später geht sie tanzen, deswegen die Ersatzschuhe.

Erschienen in Traffic News To Go #53