Vier ist einer zu viel

Ein Glücksfall von einem Film, so heißt es, ist so einer, dem es gelingt, die Befindlichkeiten der Gesellschaft widerzuspiegeln und, im besten Fall, gleichzeitig unterhaltsam zu sein. Drei von Tom Tykwer – Lola rennt, ein Klassiker, zu recht, aber für Heaven gibt es von mir standing ovations! – ist so ein Film. Deutscher Realismus hat Hochkonjunktur und gerade weil dieses Genre ohne viel Fantasterei auskommt, verraten Figuren wie Hanna, Simon und Adam mehr über uns alle als uns vielleicht lieb ist.

Tykwer erzählt Hannas und Simons Geschichte als die eines jungen Paares, Anfang dreißg (schätzt man, was sich im Laufe des Filmes als Trugschluss erweist, denn wenn die beiden seit zwanzig Jahren zusammen sind und man nicht von komischen vor-adoleszenten Wasauchimmer ausgeht, sind sie wohl eher Ende dreißig), “attraktiv, modern, gereift, kultiviert, ernüchtert.” Alt genug jedenfalls, um eine schicke Altbauwohnung im richtigen Berliner Viertel zu bewohnen (in welchem, lässt sich nicht eindeutig bestimmen, aber eines der Richtigen zweifellos) und alt genug auch, um sich bewusst gegen Nachwuchs entschieden zu haben. Beide arbeiten in der Kreativbranche und zum Abendessen steht immer eine Flasche Rotwein auf dem Tisch. Es ist die Art von Lebensabschnittspartnerschaft, die vielen Hauptstädtern wohl als Beste aller Welten erscheinen mag: Man kennt sich, man liebt sich, wobei ein gelegentlicher Seitensprung nicht der Rede wert ist und auch wenn Simon gelegentlich über Finanzielles klagt, scheint die Haushaltskasse doch gut genug gefüllt, um aktiv am Berliner Leben, dem Richtigen, teilnehmen zu können. Als Zugezogener erkennt man natürlich all die places to be wieder, die hier so brav als Schauplatz der sich nach und nach abzeichnenden Tragödie dienen: Shakespeares Sonnette im Berliner Ensemble (sehenswert, nebenbei bemerkt), Fußballturnier am Mauerpark (wo tatsächlich nicht von jedem Standpunkt aus der Fernsehturm zu sehen ist) mit anschließendem Absackbier im Schusterjungen (okay, nie gehört). Entscheidende Entscheidungen werden derweil beim Spaziergang über die Oberbaumbrücke gefällt.

Das falsche Leben im Richtigen bricht dann urplötzlich herein, als Simons Mutter am Küchentisch bei einer Flasche Rotwein (siehe oben!) eröffnet, dass bei ihr Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde, weswegen sie sich wenig später das Leben nehmen wird. In der darauf folgenden Szene muss man sich ein wenig fremdschämen, denn da erscheint die tote Mutter ihrem Sohn als Engel, mit Flügeln und wallendem Gewand und zitiert bedeutungsschwer Heine. Auch Simon hat Krebs und weil Hanna ihr iPhone auf dem Küchentisch liegen ließ, muss er die Operation ohne weiblichen Beistand über sich ergehen lassen. Das heißt: Im Moment des Eingriffes, der einer halbseitigen Kastration gleichkommt, erkennt er in der weißbekleideten Dame am OP-Tisch eine lange zurückliegende Affäre wieder aus der, wie sich herausstellt, ein Kind hervorgegangen ist, das heißt  wäre, hätte seine Verflossene sich nicht dagegen entschieden. All das wird mit einer Leichtigkeit hingenommen, die an Blödheit grenzt. Hanna vergnügt sich derweil mit Adam, dem Dritten im Bunde, den sie auf einer Konferenz des Ethikrates kennengelernt hat (offensichtlich kommt zu ihrer Tätigkeit als Reporterin/ Moderatorin/ Kunstexpertin noch eine wissenschaftliche Arbeit hinzu). So kommt wunderbarerweise frischer Wind auch in das Liebesleben von ihr und Simon und alles könnte gut sein – bis Simon eines Tages Adam im Badeschiff (jawohl, im Badeschiff!) begegnet und es zum spontanen Austausch von Körperflüssigkeiten kommt. Es folgt eine leidenschaftliche Affäre und weil das deutscher Realismus ist, muss bei den Sexszenen keine falsche Bescheidenheit vorgetäuscht werden.

Leider, leider driftet der Film gegen Ende erneut in eine metaphysische Sphäre (siehe oben: Engel im wallenden Gewand!) ab. Schade, denn wie die Drei sich in der dunklen Wohnung gegenüberstehen und die Erkenntnis und der Schock und der Zusammenbruch ihrer sorgfältig gehegten Lügengeschichten ihnen ins Gesicht geschrieben stehen: Das könnte großes Kino sein. In der Anschlussszene scheint Hanna dann plötzliche in London in einer Art Kommune zu wohnen – warum? fragt sich der Zuschauer, der nicht so recht mitkommt – und ist dann plötzlich doch wieder in Berlin und es kommt zum Showdown, wieder in Adams Wohnung. Hanna die, der natürlichen Logik des Films folgend, irgendwann schwanger geworden ist, vereinigt sich mit ihren beiden Männern und das im wahrsten Sinne des Wortes und das letzte Bild könnte absurder nicht sein: Alle drei liegen in Löffelchenstellung im blütenweißen bett nebeneinander, eng aneinander geschmiegt, die Kamera zoomt weg und was bleibt, ist das Bild einer menschlichen Zelle. Adam ist Stammzellenforscher. Hmhm. Wo war noch mal der Bezug zum biologischen Diskurs?

Das den guten Geschmack etwas überstrapazierende Ende ist nicht das einzige Problem des Films. Eigentlich müsste er Vier heißen: Weil Berlin die heimliche Hauptrolle spielt. Auf die vielen Fingerzeige wurde bereits hingewiesen und zu dem Gefühl, dass einem permanent ins Ohr geflüstert wird: Da spielt es, das richtige Leben! kommt hinzu, dass uns das Beziehungs- und Lebensmodell von Hanna und Simon als das derzeit Erstrebenswerteste verkauft wird. Den Gegenentwurf zu diesem hedonistisch-pragmatischen Stereotyp verkörpert Adam mit seiner solipsistischen Egozentrik, die ihren stärksten Ausdruck in dessen Wohnung findet, einem Plattenbau, definitiv nicht im richtigen Viertel, von Hanna lakonisch mit “Hier wohnst du?” kommentiert. Diese große, beinahe leere und defintiv erschreckend hässliche Wohnung ist das erfrischende Antimodell zu all den standardisierten Berlin-Bildern. Welches der beiden Lebensmodelle – Hannas und Simons großbürgerliches Bildungsmilieu Klein-Klein oder Adams Post-Nihilismus – am Ende das Bessere ist, bleibt offen, nicht zuletzt deshalb, weil das Ende ein gänzlich Missglücktes ist (siehe oben).

Eine romatische Komödie, wie auf der Website angekündigt, ist Drei ganz sicher nicht. Eher ein Szenario. Wenn Tykwers Film, (für den es von mir keine standing ovations gibt!) ein realistisches Bild unserer Gegenwart entwirft oder zumindest eine Studie ist über das seltsame Verhalten geschlechtsreifer Berliner zur Paarungszeit – dann sollte uns das wenigstens nachdenklich stimmen.