Tuesday Tristesse

Obwohl die Ausstellung Painting 2.0 hieß, war Fotografieren verboten. Stattdessen durfte man einige der Kunstwerke mit nach Hause nehmen. So jedenfalls interpretierte ich den Postkartenständer mit Reena Spaulings Portraits US-amerikanischer art people im vierten Stock des Mumok. Und zwar jener, die üblicherweise nicht in Erscheinung treten, Sammler, Händler, Kuratoren. Unser einer ist ja schon froh, den Künstler neben sich auf der Vernissage zu erkennen. Bislang verpasste ich trotz Falter-Abo die lohnenswerten Wiener Eröffnungen.

Ein wenig Glamour flitterte zuletzt in der Kunsthalle am Karlsplatz bei der Eröffnung einer Ausstellung mit dem kryptischen Titel One, No One and One Hundred Thousand. J. hatte mich an diesem Abend all seinen Kommilitonen der Universität für angewandte Kunst vorgestellt – unter Insidern: “Die Angewandte” – und ich kann sagen, dass nicht alle, aber viele von ihnen den angemessenen Sprung in der Schüssel haben. Nach der mit grauenvollem Akzent gehaltenen Rede hatten wir im Heuer (dessen Website mir bei Google als erstes angezeigt wird, wenn ich “Kunsthalle am Karlsplatz” eingebe) die Wiener Version des Sommergetränks Hugo getrunken, dabei war es erst Februar, mit dem fantastischen Merwut-Wermut anstelle des üblichen Hausfrauen-Proseccos, und ich kann sagen, dass nicht alle, aber die meisten von J.’s Kommilitonen sehr trinkfest sind. Da ich erst am Vorabend von einer zehntägigen Meditation zurückgekehrt war, deren umfangreiche Verbotsliste auch Alkohol miteinschloss, vertrug ich nicht ganz so viel wie sonst. Entsprechend angeregt hatte ich mich mit einem siebzehnjährigen, in Dubai aufgewachsenen Nachwuchskünstler unterhalten, der unbedingt wollte, dass ich ihn porträtiere, schließlich habe er gerade der Vice seine neuesten Arbeiten gezeigt, die jetzt wieder zum Gegenständlichen tendierten. Beim Feiern mit Chris Rosa war ich nicht mehr dabei gewesen, schade eigentlich, ist er doch eine Melange aus Dash Snow, Basquiat und dem jungen Klaus Kinski, weiß also, wo in Wien man eine berlineske Donnerstagnacht erleben kann (um nichts anderes geht es).

Daran dachte ich im Mumok beim Anblick einer Arbeit der Künstlerin Jutta Koether, von der ich trotz meines Praktikums bei Texte zur Kunst noch nie gehört hatte, die aber vielleicht so etwas wie die Patti Smith der ungegenständlichen Malerei ist. Auch mit viel Fantasie war die im Titel erwähnte Kim Gordon darauf nicht zu erkennen, dennoch mochte ich das Bild mit dem herabhängenden Bindfaden sehr gerne. Anknüpfend sozusagen an Rosemarie Trockels Ohne Titel mit diesem irre guten Satz, den ich ohne Foto natürlich vergessen habe.

Am meisten berührte mich Gerwald Rockenschaubs rosafarbene Träne aus Holz. In Anbetracht des fehlenden Titels nannte ich sie Tuesday Tristesse, weil ich an diesem Dienstag ein wenig traurig war. In Berlin hätte ich trotz Verbot ein Foto davon gemacht, im Mumok ließ ich es bleiben. Stattdessen malte ich das Werk aus der Erinnerung auf; appropriation art, das wäre was für eine Bewerbungsmappe an der Angewandten. Egal ob es darum geht, bei Rot stehen zu bleiben oder die Tomaten im Supermarkt an ihren Platz zurück zu legen: In Wien bin ich so etwas wie die anständigere Version meiner selbst.

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Gerwald Rockenschaub, Ohne Titel, aus dem Gedächtnis abgemalt