Tierische Liebe (kein Film von Ulrich Seidl)

Klar, dass ein Text über Italien vom Essen handeln muss. Panna Cotta, Insalata Caprese, Vitello Tonnato, – so ein paar Vokabeln fallen jedem ein, der wenigstens zwei Mal im Jahr bei Vapiano eine mediterrane Mittagspause genießt. Wie aufregend-authentisch es erst vor Ort sein muss, wo sich einem die Vielfalt der cucina italiana präsentiert! Eigentlich muss es hier doch um Pasta gehen und Pizza und Dolce und vor allem um Negroni, den herrlichsten Cocktail der Welt. Aus Gründen der Globalisierung (Fenchelsalami und Pecorino gibt es schließlich auch in den Feinkostläden bundesdeutscher Fußgängerzonen und den besten Negroni in meiner Berliner Lieblingsbar) beschränkt sich mein kulinarisches Interesse vor Ort auf die Praxis. Stattdessen schweift die Aufmerksamkeit weg von den leiblichen hin zu den geistigen Genüssen. Schnell wird klar: Ein Text über Italien muss von Tieren handeln. Eine Annäherung in vier Schritten.

Uno: Irgendjemand muss so eine Ferienwohnung ja einrichten. Nicht immer ist dem Gast ein ästhetischer Mehrwert vergönnt. Besonders anfällig für Geschmacksentgleisungen jeder Art sind sogenannte landestypische Unterkünfte; je authentischer, urwüchsiger, desto schlimmer. Anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren (eine Küche mit Parmesanreibe und Knoblauchpresse, ein intakter Duschkopf, ein Südbalkon), kommt bei manchem Innenausstadtter eine versteckte Kunstkennerschaft zum Vorschein, man könnte auch sagen: Der Ehrgeiz geht mit dem Kunstlaien durch.

So auch in unserem toskanischen Feriendorf, wo die Welt dem buckligen Weinverkoster zufolge noch in Ordnung ist (Für Norditalien wie für Süditalien gilt: Da steckt der Wurm drin). Vor den Fensterläden ein Panorama, das die Floskelquelle (die in jedem von uns steckt) nur so übersprudeln lässt: Wie hingegossen, ein herrliches Fleckchen Erde, unverstellter Blick, so weit das Auge reicht, paradiesische Idylle, der liebe Gott hat es gut damit gemeint und so weiter und so fort. Was die Hingegossenheit der Ferienwohnung betrifft, muss man hart sein im Nehmen. Macht man es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem, vis à vis des beachtlichen Flachbildfernsehers, bannen zwei Katzenbilder den Blick. Vermutlich handelt es sich um Perserkatzen (so weiß strahlt ihr Fell!), ihrer Hochnäsigkeit nach zu urteilen, sind es verhätschelte Hauskatzen, die sich draußen nicht schmutzig machen dürfen. Auf dem linken Bild nuckelt Katze A an einem Korken, der möglicherweise eine Flasche Merlot verschloss, während ihre Gespielin keck an einem Gugelhupf nascht. Einem Gugelhupf! Auf dem rechten Bild ruhen die Pfoten von Katze B auf einer Art Medaillon, das ein Frauenprofil ziert, während sich Katze A an B’s Ohr zu schaffen macht. Katzen, die mit Medaillons spielen, gibt es bestimmt und woher all die adipösen Haustiere ihre ungezügelte Kalorienzufuhr beziehen (wenn nicht von Gugelhupfen, die unters Dessertbuffet rutschen), soll hier nicht Thema sein. Ich will solche Bilder nicht sehen. Es ist der Kitschgestus dieser auch handwerklich schlecht ausgeführten Tierduselei, das Affektierte und eklig Gefällige, was ein längeres Verweilen auf dem Sofa unmöglich macht.

Katzendrucke gehören zu den unangenehmsten Auswüchsen der sogenannten dekorativen Kunst. Einige Mitglieder meiner Familie sind ganz versessen auf die Bilder der Rosina Wachtmeister. Die Wachtmeister-Welt ist eine stark vereinfachte: Fröhlich-frech wandeln die kleinen Racker durch Farbkleckslandschaften, hier und da leuchtet es golden und silbern. Die Gesichstszüge von Wachtmeister-Katzen wirken anthropomorph, mehr Mensch als Tier, eigentlich eine Perversion. Immer lächeln diese Katzenmenschen und sie sind nie allein, obwohl Katzen doch Einzelgänger sind, dachte ich. Rosina Wachtmeister ist das zoophile Pendant zu Hundertwasser. Wenn es nach mir ginge, würden beide sofort und endgültig aus dem Kunstkanon gelöscht. Zu Recht hängen die Wachtmeister-Katzen in keinem Museum,  verfolgen einen aber in allen Lebenslagen: Auf Schlüsselanhängern, Gästehandtüchern, Stockschirmen, Adressbüchlein, Glasuntersetzern. Rosina Wachtmeister betrachten heißt, Demut lernen vor dem Niedergang des ästhetischen Geschmacks, vor der Stumpfsinnigkeit des Massenpläsiers. Walter Benjamin graute schon vor rund achtzig Jahren vor solcherlei Kitsch. Gewiss hatte er debil grinsende Katzen vor seinem inneren Auge, als er die technische Reproduzierbarkeit von Kunstkacke beklagte.

Due: Das Badezimmer der Ferienwohnung wartet auf mit Abzügen eines unbekannten Fotoamateurs. Selbst meine basalen Italienischkenntnisse (Buon giorno! Prego! Si! Si!) reichen aus, diesen verkannten Künstler als Sentimentalisten zu entlarven: “Dieses Foto entstand am 1.3.2008, in tiefer Ehrfurcht vor der Schönheit unserer Mutter Erde”, so was in der Art. Über diesem in beängstigend geschmackloser Typografie gehaltenen Meditationssätzchen thront ein Büschel Brombeeren samt Schmetterling. Besser, man verliert kein Wort über den Rahmen. Nichts jedoch kann das zweite Foto toppen, dessen Ausschnitt ein kopulierendes Marienkäferpaar zeigt, stark vergrößert. Ein Marienkäferpaar! Kopulierend!

Beim Anblick dieser Fotos werden Erinnerungen wach an schlecht belüftete Teenagerzimmer, deren Wände vollgekleistert sind mit dem standardisierten Gestus der jugendlichen Individualität: Eine Giraffenmutter, die ihre Schnauze auf den Kopf ihres Jungen presst (“The first kiss”), Orkas im Sprung über dem Polarmeer (“Fly”), zwei Katzenbabies in einer Hängematte dösend (“Sweet dreams”), eine Horde Pinguine, aufgereiht an der Klippe eines Eisberges, der erste setzt gerade zum Sprung an (“Courage”). Ich bin nicht mehr fünfzehn Jahre alt. Ich will solche Bilder nicht mehr sehen.

Tre: Was nützt das herrliche Himmelbett, wenn einen vom Bett aus ein weinendes Kind in Öl anfleht und auf dem Kissen daneben ein Hund in Königsrobe. Tatsächlich trägt dieser Hund, der ein West Highland White Terrier ist (von manchen liebevoll “Westie” genannt), ein hochgeschlossenes Prunkgewand, rosa und mit Spitzenbesatz. Stolz fixiert sein Blick den Betrachter. Es scheint dem Innenausstatter dieses Schlafzimmers sehr ernst gewesen zu sein mit seinem Willen, den Hund als des Menschen Wolf darzustellen. Immerhin kann man, im Gegensatz zu den sogenannten Kunstdrucken an der Wand, dem herausfordernden Blick dieses Hundekönigs entfliehen: Indem man das Kissen umdreht.

Quattro: Gewissermaßen mit zum Inventar der Ferienanlage gehören zwei schneeweiße Hündchen der Rasse West Highland White Terrier (von manchen liebevoll “Westie” genannt) – das reale Pendant zu den Kissenwauwaus im Schlafzimmer. Tagein, tagaus wackeln die zwei über den perfekt getrimmten Rasen. Kein Bellen stört die ruhebedürftigen Urlauber, höchstens verleihen die Terrier ihrem Wohlbefinden Ausdruck durch ein zufriedenes Grunzen. Wie friedfertig, wohlerzogen, rundum gelungen diese Racker sind, offenbart sich eines Morgens, als der Gast auf dem Weg vom Pool in Richtung Ferienwohnung Zeuge einer herzallerliebsten Szene wird: Ein etwa zweijähriges Mädchen hockt zwischen den Hunden, patscht auf deren Rücken herum, liebkost die Öhrchen, zieht an den Pfötchen und lacht so zauberhaft wie nur etwa zweijährige Mädchen lachen können. Um sie herum hat sich eine Menschtraube gebildet, die dem Schauspiel durch Klatschen und Jauchzen Tribut zollt. Ein Mann, vermutlich der Vater des Mädchens, bannt diesen Moment mit seiner Videokamera für die Ewigkeit. Man kann sich keine bessere Werbung vorstellen, wahlweise für Hundefutter (schließlich wirbt Cesars mit einem West Highland White Terrier und dem Slogan “Aus Liebe zueinander”), für Kleinkindnahrung oder eine Videokamera. Noch entzückter als der zufällig vorbeikommende Gast ist jedoch das einheimische Personal. Wer weiß, wie lange sie schon ihre Arbeit niedergelegt haben, um diesen Moment ungetrübter Daseinsfreude zu feiern. Eine der Frauen ruft tatsächlich: “Amore!”

Conclusione: Tiere und Kinder, so eine Faustregel im Theaterbetrieb, haben auf einer Bühne nichts verloren. Auf der großen Bühne “italienische Lebenskunst” feiert man nichts so sehr wie die Verniedlichung des Tiers und zugleich dessen Vermenschlichung. Wenn Kinder dabei sind, umso besser. Ein Schuft, wer da über die Geschmacklosigkeit der Ferienwohnungen mosert. Von italienischen Schöngeistern lernen, heißt Demu lernen vor allem, worüber man zuhause die Nase rümpft. Ciao Bambini! Ciao Canino!