Schweiß zu Gold (Oh Saunaboy!)

Das Leben des Hedonisten dreht sich bekanntlich um ihn selbst. Solange es seinem Körper und seiner zarten Seele gut geht, ist dies nicht die schlechteste aller Welten. Zu Beginn eines jeden Jahres wird er ein bisschen mehr als sonst mit seinen Unzulänglichkeiten konfrontiert. Was anfangen mit den guten Vorsätzen, außer herzlich darüber lachen und Oscar Wilde zitieren? Worauf die Sehnsucht nach Luxus projizieren, wenn unterm Tannenbaum wieder kein Brilliantcollier lag, sondern nur ein Douglas-Gutschein? Es gibt einen Ort im Herzen der Stadt, wo einem perfekt temperierte Lüftungsanlagen die trüben Gedanken aus dem Kopf blasen. Wo rundum verspiegelte Räume dem Ego schmeicheln. Wo jugendlich-gutaussehende Menschen das Beste aus einem herausholen wollen.

Ein paar Jahre ist es her, da machte ein Besuch im Fitnessstudio einen derart erschütternden Eindruck auf mich, dass ich das Schamgefühl, eine solche “Muckibude” besucht zu haben, beiseite schob und meine Gedanken publik machte. Nun kam es, dass ich durch glückliche Fügung erneut in den Genuss eines Fitnesscenterprobetags kam. Mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal richtig Lust darauf hatte. Zum einen lag das an der Beschissenheit der Jahreszeit, der Katerstimmung kurz nach Silvester mit den ungemütlich im Hinterkopf dräuenden Vorsätzen. Zum anderen am Fitnesscenter meiner Wahl, welches einer Kette angehört, die europaweit mit dem Versprechen eines “Lifestyle Makeovers” wirbt. Wer diese Tempel der Verausgabung von außen betrachtet, wird sich schmerzlich seiner Position am unteren Ende der Einkommensgrenze bewusst: Während einem als im Regen joggender Pöbel das Wasser aus den Haaren läuft, blickt die Sportelite durch deckenhohe Fenster nach draußen, unter sich die Bodenheizung, über sich die Sterne. Ein Fitnesscenter ist Distinktion wie alles Distinktion ist. Es gibt die Flatrate-Tempel mit bedenklicher Keimdichte und Ballertechno, es gibt die Lady Gyms, wo die Saftbar im Zentrum steht und die Getränke wahrscheinlich Papierschirmchen tragen, und es gibt die Luxusvariante. Da wollen wir hin.

Wie von selbst spühlt einen das Neujahrsgrau in den wohligen Eingangsbereich des Centers, der eine Lobby ist inklusive Rezeption, dahinter zwei Uniformierte mit Zahnpastalächeln. Aufmerksamkeit ist ein geschätztes Gut und der kleine Narzisst in uns freut sich über die Wertschätzung seiner Person in Form eines Handschlags. Willkommen, willkommen! Von Anfang bis Ende des Besuchs setzt das Studio alles daran, seine Kunden (die hier, als Äquivalent zum Rotlichtmilieu, gewiss “Gäste” genannt werden) vergessen zu lassen, dass Sport eigentlich eine dem Menschen widerstrebende Angelegenheit ist. Je jünger das Jahr, desto standfester trotzen die guten Vorsätze ihrem vorzeitigen Ende. In der ersten Januarhälfte haben Fitnessstudios Hochkonjunktur. Alle wollen die Magermodelmaße respektive den Pumperlook haben und sich endlich spüren, aber anstrengen solls nicht, gell. Wie aber bindet man die launische Klientel dauerhaft und überzeugt sie davon, dass es okay ist, eine halbe Monatsmiete für ein paar Mal pumpen hinzulegen, seinen Schweiß quasi in Gold aufzuwiegen?

Jeder Gast erhält drei Handtücher (auf Anfrage mehr) und wird bei seinem ersten Besuch aufmerksam durch die heiligen Hallen geführt. Während der Bereich vor den Umkleiden mit seinem Holzimitat und dem luftigen Korbmobiliar an eine Strandbar auf Sylt erinnert, wecken die Baumstämme hinter der Handtuchausgabe Assoziationen an eine Schnellimbisskette, die ihr kulinarisches Defizit mit einer fancy Innenausstattung wettzumachen versucht.

Selbstredend sind alle als solche erkennbaren Mitarbeiter so durchtrainiert, als entstiegen sie einer Werbung für Energydrinks. Hier zu arbeiten verleiht Flügel und macht Spaß, deswegen lächeln alle permanent dieses penetrante Servicelächeln. Auf einem Zettel ist das persönliche Trainingsziel zu vermerken. “Ich bin neu und brauche ein Intro”, “Ich brauche ein Reprogramming (mein Trainingsplan ist schon 3 Monate alt und braucht Überarbeitung)”, “Ich habe Interesse an Personal Training.” Zutreffendes bitte ankreuzen.

Auf einem Plakat wirbt Eleonore S., ehemalige Kunstturnerin, nun als Diätassistentin tätig, für ihre Dienste. Eleonore mit ihren Schlauchlippen, den gewiss nicht naturblonden Löckchen und dem Motto “Live your life.” Ihr Verweis auf Voltaire klingt nach Realsatire. Anders als Ben, der im straff sitzenden Muskelshirt leibhaftig vor uns steht und eine Kleingruppe zum Quick-Bauchtraining verdonnert. Mir als Kunstgeschichtlerin fallen beim Anblick von Ben natürlich gleich die antiken Skulpturen im Moment größter Anstrengung ein, Diskus werfende Männerkörper, Krieger und solche Dinge. Bens Gesicht ist das eines jungen Gottes (immer gleich zur Hand: der Adonis-Vergleich). Eine neue Position kündigt er mit den Worten “schon wieder wir sind auf dem Bauch” an und beginnende Erschöpfungszustände kommentiert er mit “go! go! go!” Seines niedlichen britischen Akzents wegen klingen die Anweisungen gar nicht so herabsetzend wie das bei einem Personal Trainer sonst der Fall ist.

Dabei braucht hier niemand einen Personal Trainer – derart konsequent wird menschliches Servicelächeln von der Perfektion der Maschine ersetzt. Gruselig, wie das Gerät unter einem sekundenschnell die körperliche Verfassung durchdekliniert, die voraussichtliche Herzfrequenz, die verbrannten Kalorien, auch wenn mir 33 für mehrere Minuten steppen etwas wenig vorkommen. Warum noch mal braucht das Laufband einen USB-Anschluss und ein Ladekabel fürs iPhone? Kann ich nicht wenigstens hier vom miserablen bundesdeutschen Fernsehprogramm verschont bleiben? Eher wähnt man sich in der Unterhaltungselektronikabteilung bei Media Markt als in einer Turnhalle. Vollkommene Abwesenheit von Schweißgeruch.

Eine Etage tiefer ahnt man dann, warum Leute bereit sind, für eine Mitgliedschaft so viel wie für einen Kleinwagen zu bezahlen. Im sogenannten Spa Bereich herrschen dunstige Lichtverhältnisse: Wo oben jedes Orangenhäutchen unangenehm ins Auge fiel, lässt das dunkelblau-fast-schwarze Licht die Körperformen hier im Kerzenlicht nur erahnen. Eierförmige Sitzschalen laden zum Veweilen am Pool ein. Dieser ist wie das Raumklima auf Wohlfühlmodus getrimmt. Kleine Buddhastatuen und Duftkerzen fördern den Eindruck, sich etwas Gutes zu tun. Verschiedene Teesorten und “Wasser mit Geschmack” stillen die Durstigen. Die Verfeinerung des Geistes steht nicht im Vordergrund, sonst läge da nicht das Szenemagazin “The Platz” (in anglizistischer Anlehung an den Potsdamer Platz).

Wie man erfolgreich Arbeitsplätze schafft, zeigt der Einsatz eines Saunaboys, der nichts anderes tut, als zwischen den Aufgüssen den Schwitzenden mit dem Handtuch heiße Luft ins Gesicht zu wedeln. Nebenan lockt die “Erlebnisdusche” mit einer Auswahl von Programmen, etwa der Simulation eines tropischen Sturzregens mit Papageiengeschrei und Baumduft, oder der donnernden und blitzenden “Ice Rain-Dusche”, die so kalt ist, dass selbst jahrelange Wechselduscher frühzeitig flüchten müssen. Im Himalaya-Raum blickt man auf eine Fototapete mit Bergpanorama, die genau so auch in den Hinterzimmern einiger Berliner Bars zu finden ist.

Ein Fitnessstudio ist ein Ort der Reglementierung. Beizeiten hört man besser auf, all die Hinweis- und Verbotsschilder zu lesen, sonst kommt man gar nicht mehr zum Sport treiben. Schnell passiert es, dass man vergisst, nach der Benutzung die Geräte mit Desinfektionsspray zu reinigen. Mit diebischer Freude stelle ich fest, dass ich gleich mehrere Regeln missachtet habe. Weder habe ich an Badelatschen gedacht, noch daran, mich vor dem Betreten des Saunabereichs abzuduschen. Ein befreiendes Gefühl, gelegentlich der deutschen Pedanterie ein Schnippchen zu schlagen!

Ein Fitnessstudio ist auch der Versuch einer Entsexualisierung des sexualisierten Körpers. Anders als erwartet, wird hier nicht nach Geschlechtern getrennt trainiert, weswegen alle penibel darauf achten, sich der Körper der anderen nicht allzu gewahr zu werden, zumindest scheint die allgemeine Erwartungshaltung in diese Richtung zu zielen. Ich schäme mich, ein Oberteil mit auffälligem Logodruck gewählt zu haben und traue mich kaum, beim Bauchtraining zu meinem Nachbarn zu schielen, um zu sehen, mit welcher unmöglichen Bewegung ich den linken Ellenbogen liegend an die rechte Hüfte bekommen soll – aus Angst, er könnte das als Flirtversuch deuten. Spätestens im Saunabereich lösen sich solch ehrenwerte Vorsätze in Luft auf, da wird geglotzt und gegiert, was in Ordnung geht, denn so menschlich wie schnell zu Grabe getragene Vorsätze ist nun mal der Fortpflanzungstrieb. Schwitzen an einem aseptischen Ort, der verbotene Blick auf entäußerte, halb- bis ganz nackte Körper. Reglementierte Körperlichkeit und nicht zu reglementierende Triebe.

Ein Fitnessstudio ist ein Ort, wo der Hedonist viel über sich selbst lernen kann. Erkenntnisse, die Gold wert sind. Ein bisschen anstrengen muss er sich aber schon.