Schalldämpfer lutschen!

Wer den kommenden Generationen beim Feiern zusieht, bekommt es leicht mit der Angst zu tun. “Wasted German Youth” lautet der Appell, was in der Praxis bedeutet, dass beim Tanzen schlaksige Körperteile umherfliegen, dass Gläser zu Bruch gehen und jugendliche Stimmbänder überstrapaziert werden. “Wir feiern nicht, wir eskalieren” – noch so ein dämliches Motto, ebenso wie Deichkinds “Leider geil”-Parole – all das zielt in dieselbe unangenehme Richtung eines Partyverhaltens mit dem unbedingten Willen zum Exzess. Braucht die Welt einen Film, der dieses Elend in Bilder fasst? Der Trailer von Harmony Korines “Spring Breakers” wirkt wie ein Wet-T-Shirt-Contest in Spielfilmlänge. Aber Vorsicht: Diese prolligen Bikinimädchen sind knallharte Feministinnen!

Die Story: Vier Collegestudentinnen (unter ihnen die Teeniestars Selena Gomez und Vanessa Hudgens) wollen zum Spring Break nach Florida, jenem mystischen Ereignis, bei dem sich jährlich Hunderttausende in die Besinnungslosigkeit feiern. Aus Geldmangel überfällt das Quartett ein Diner und besteigt mit dem erbeuteten Geld einen Bus (welcher den deutschen Abitourbussen zum Verwechseln ähnlich sieht!) gen Süden. Es folgen paradiesische Wochen zwischen Promiskuität und Flatratesaufen, bis die Polizei den Bikinimäuschen auf die Spur kommt. Spärlich bekleidet werden sie dem Richter vorgeführt – und auf Kaution freigelassen, gekauft von einem seltsamen Typ namens Alien (James Franco, nicht wiederzuerkennen!). Alien ist so etwas wie der white mothafucka vom Dienst, ständig mit Handfeuerwaffen hantierend und das vergoldete Gebiss bleckend. An der Waffensammlung über seinem Bett – lauter Phallussymbole! – hätte die Psychoanalyse ihre helle Freude. Alien findet Gefallen an den skrupellosen jungen Frauen, führt sie in sein Pimp-Universum ein – und jetzt geht der Spaß, wie es so schön heißt, erst richtig los.

Harmony Korine hatte als Drehbuchautor schon einmal seine Finger im Spiel eines krassen Jugendporträts. Larry Clarks “Kids” jedoch war reduzierter, seinen Figuren fehlte die Selbstironie und das grotesk-Glamouröse. Die Stimmung war düster, mehr Bahnhof Zoo als sunshine state. Bei “Spring Breakers” hingegen glänzt jede Kameraeinstellung, leuchten die Insignien der Generation Konsum selbst bei Dunkelheit (Nike Air Max!). Wippende Brüste und Dosenbier, das über Bikinihöschen fließt, bewegen sich auf einem schmalen Grat zum Ekel. Jeder, der einmal bei einer Jugendreise in Lloret del Mar zugegen war, mit Eimern voller Sangria und vollgekotzten Etagenbetten, weiß das. Eben diesen Voyeurismus bedient Korine, jedoch ästhetisch auf höchstem Niveau. “Spring Breakers” glorifiziert einen Abschnitt von Jugend, der bereits auf die Beinah-Jugend elektrisierend wirkt. Im Club mit Geldbündeln um sich werfen, im tiefergelegten Auto durch Palmenalleen heizen und immer immer praktisch nackt sein: All die auf MTV von dicken Rappern vorgelebten Klischees werden hier ausagiert.

Der entscheidende Unterschied: Hier haben die Frauen die Höschen an. Scheinbar naiv und kaum volljährig rotzen sie jedem Pimp vor die Füße. Wer sind diese seltsamen jungen Frauen zwischen Lollipop-Lolita und Killerbraut? Was sie jedenfalls nicht sind: Billig zu habende Dummchen. Zwar kokettieren sie mit ihrem Defizit an Lebenserfahrung, aber schon im nächsten Moment rauben zwei von ihnen skrupellos ein Diner aus, während die Fahrerin einmal mit dem aufs Fenster aufgestützten Arm ums Haus cruist, als würde sie die Jungs auf dem Highschoolparkplatz abchecken. Es sind Riot Grrrls der ersten Stunde: Selbstbewusste junge Frauen, zwar nicht politisch unterwegs, die aber in ihrem unbedingten Hedonismus (“Bikini und Megamöpse, darum gehts im Leben”) doch für ein freiheitliches Ideal eintreten. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird niedergemetzelt, auch und gerade, wenn es Männer sind.

Eine der großartigsten Szenen ist jene, als Alien am Flügel neben seinem Pool Platz nimmt und fragt, was er spielen soll. Am Horizont geht lauschig die Sonne unter (in jenem Magenta, das die vom Regen geplagte Mitteleuropäerin vor Neid nach Luft schnappen lässt) und neben ihm posieren die Spring Breakerinnen in rosa Strumpfmasken mit My little Pony-Logo. Alien kündigt den Song “einer beinahe unbekannten Sängerin” an, der ihm viel bedeute, es ist “Everytime” von Britney Spears. Die Mädchen glucksen vor Freude und tanzen eine Ringelreihe mit Maschinengewehren. Alien haucht Britneys Text “I guess I need you baby” in den Florida-Himmel. Wer aber braucht hier wen? “Wir glauben, wir lieben Dich auch”, antworten die Mädchen einmal auf Aliens Liebesgeständnis. In Wahrheit brauchen sie niemanden. Vergleicht man sie mit vier anderen US-amerikanischen Damen, nämlich den Protagonistinnen aus Sex and the City, dann fällt vor allem eines auf: Anders als bei ihren gut zwanzig Jahre älteren Kolleginnen dreht sich das Leben der Spring Breakerinnen nicht nur um Männer.

Für die einen ist das Paradies eine einsame Insel voll guter Bücher. Für die anderen ist es ein Trichter voll Dosenbier. Jedem das seine! Man kann “Spring Breakers” wüst finden und klischeebeladen. Man kann sich beglückwünschen, aus dem Abitour-Alter raus zu sein und nie wieder All-Inclusive-Cocktails saufen zu müssen. Aber wie entschlossen diese vier jungen Frauen für ihren Traum eintreten – das muss man einfach cool finden. So cool wie James Franco, der unter dem strengen Blick der über ihn gebeugten girls am Schalldämpfer seiner eigenen Waffe lutscht.