Quote that dick Huss und Hodn, dicks love Huss und Hodn

Shakespeare, das ist ja bekannt, hat ordentlich ausgeteilt. Wahre analoge Shitstorms gingen auf seine Feinde darnieder. Sein Quasi-Zeitgenosse Molière ließ ungeliebte Mitmenschen als Charaktere in seinen Stücken auftreten, so eindeutig, dass jeder wusste, wer gemeint war. Beeindruckenderweise hielt der französische König ihm dabei den Rücken frei und finanzierte obendrein seine Rente. Aber wir schweifen ab.

Ein paar hundert Jahre später lauert der Hass in anderen Zeilen, meistens sind es mehr als hundert. Rap ist die Kunstdisziplin, mittels der sich böse Buben heute austoben. Angeblich verfügen einige von ihnen über mehr linguistische Fertigkeit als Shakespeare! Dass dabei so manche Schmerzgrenze überschritten wird, sollte uns kulturkritischem Jungvolk doch bewusst sein. Schließlich ist Diss kein Abfallprodukt der Rapkultur, sondern deren innerster Antrieb.

Abgesehen davon, dass ich nicht bei jedem unflätigen Wort in Tränen ausbreche, hat mich all das bislang wenig tangiert. Rap respektive Hip Hop ist nicht meine Welt. Nicht mehr, habe ich doch mit zwölf Blumentopf geplaybackt, es folgten die Beginner, dann Samy Deluxe, dann ging es abwärts. Abwärts heißt: weg von doch irgendwie gehaltvollen, unter Umständen gar gesellschaftskritischen Lyrics, hin zum Druffistumpfsinn eines Sidos. Als ich kürzlich die ganz großartige Revisiting-Story des Märkischen Viertels zehn Jahre nach “Mein Block” las, wurde ich ganz sentimental. “Mein Block” fand ich damals grandios, aus einer falschen Nostalgie heraus, die meiner superbraven Dorfsozialisation diametral entgegen stand. Berlin war von der Sigmaringer Fußgängerzone ja so weit weg wie die Bronx vom MV. Umso mehr sehnte ich mich nach der wilden Anarchie der “Drogenparties im zwölften Stock.” Gewiss war der rehäugige Sitzenbleiber aus der Parallelklasse nicht ganz unschuldig an meiner Begeisterung für Aggro Berlin. Zu dem Zeitpunkt, als dieser sich als ganz schlechter Küsser entpuppte, erkaltete dann auch meine Liebe zum Gangstarap. Einmal noch flackerte sie kurz auf, da war ich sechzehn und wieder verknallt und mein Schwarm hörte die Saïan Supa Crew. Sein Französisch war, glaube ich, noch schlechter als meines, wir verstanden kein Wort, aber der Beat war treibend und die Rhymes fett (wie Jan Delay sagen würde, der heute ein Stadionfüller ist). Danach spielte Rap in meinem Leben keine Rolle mehr, weder auf Deutsch noch Englisch noch Französisch.

Bis jetzt. Wie einige Trends der letzten Zeit (Tinder!) nahm auch dieser den Umweg über Wien nach Berlin. In verschiedenen Situationen in Gesellschaft verschiedener Menschen wurde die Musik eines Rapduos namens Huss und Hodn gespielt. Huss und Hodn? Mir unbekannt. Zeit, sich popkulturell fortzubilden, der popkulturell Interessierte lernt ja nie aus. Ich googelte und fand auf Anhieb das komplette Album als Stream. Huss und Hodn sehen das mit dem geistigen Eigentum offenbar so entspannt wie ein Kiffer die Dehnbarkeit des Begriff “Eigenbedarf.” In Zeiten, wo Youtube über jeden zweiten Song eine kastenförmige Grimasse mit runtergezogenen Mundwinkeln legt (“Dieses Video ist in Deutschland leider nicht verfügbar”), empfinde ich das als eine großzügige Geste in Richtung Endverbraucher.  Ich hörte mir das komplette Album an. Der Beat flowte. Die Stimmen waren nicht gefärbt vom Kanakendeutsch (das heißt wirklich so) und auch nicht vom nervenzehrenden Randbezirks-Pseudo-Ghetto-Sprech, der so viele Rapsongs unerträglich macht. Stattdessen Hinweise auf eine gutbürgerliche Herkunft, beim oberflächlichen Hören schienen die Texte gar von klugen Sprachspielen durchzogen. Anders als zum Beispiel die Beginner, auf die sich alle Generationen irgendwie einigen können, fehlte es Huss und Hodn trotzdem nicht am nötigen Biss. Kurzum: ich war begeistert.

Die Dauerschleife machte diese Begeisterung zunichte. Je öfter ich die Huss und Hodn-Songs hörte, desto mehr widerstrebte mir deren Wortlaut. Er richtet sich wenig überraschend mehrheitlich gegen vermeintlich weniger talentierte Kollegen (“Ich weiß, die meisten deutschen Rapper reden gerne Müll / doch Deine Rhymes sind so verkrüppelt wie die Kinder aus Tschernobyl”), fast genauso oft gegen Frauen (“Ich pass in den Beat / wie schöne Nutten in Bikinis”), gegen Homosexuelle (“Also kuck mich nicht so lange an Du kleine Schwuchtel”) und ab und zu gegen Minoritäten verschiedener Art (“Wenn alle AIDS haben / wirst Du besser nicht krank”). Sich über Despektierlichkeiten in der Rapmusik aufzuregen, ist ungefähr so originell wie über den Populismus der NPD. Ich rege mich trotzdem auf.

Bevor ich mein Lamento fortsetze (wo sind, abgesehen von Fiva überhaupt die coolen Frauen in diesem Business?), schlage ich den Bogen zum wirklich interessanten Aspekt. Als ich mich nämlich in großer Runde über diesen sexistischen, rassistischen, xenophoben Sprech beschwerte, schlug mir von allen Seiten eine Mischung aus Ratlosigkeit und Mitleid entgegen, gar nicht so weit entfernt von dem, was manchmal als Leserkommentar unter meinen Theaterkritiken steht, nach dem augenrollenden Motto: “da hat sie’s wieder nicht verstanden!” Denn, das sei doch offensichtlich, Huss und Hodn meinten das alles total ironisch. Ganz Kinder ihrer Zeit, bedienten sie sich postmoderner Approbiationsstrategien, eigneten sich ihren Gegenstand an, indem sie seine Struktur imitierten, um ihn in sein Gegenteil zu verkehren. Somit seien sie nicht nur nicht sexistisch, rassistisch, xenophob, sondern im Gegenteil politisch korrekte Verfechter der Toleranz. Sie schlügen die bösen Rapkollegen mit ihren eigenen Waffen. Wie bitte? Kann es denn so einfach sein? Wollen wir dann der Einfachheit halber den Begriff Demokratie durch Ironie ersetzen?

Im post-post-post-Zeitalter ist Ironie die wirksamste Waffe der Metagang. Ironie scheidet die Spreu vom Diskursweizen, mit ihr versichert sich die Denker-Crowd ihres Platzes im inner circle der Geistesgegenwart. Ohne Ironie kein camp (was ich vergeblich in die Diskussion einzubinden versuchte), keine Kassengestelle, keine Waldschratbärte, kein #catcontent. Gäbe es die Ironie nicht, gäbe es keine Hipster, also kein Allerweltsthema, das angeblich so 2010 ist und dennoch die Hälfte der bundesdeutschen Feuilletons verlässlich auf Trab hält. Ironie ist eine feine Sache. Aber kein Freifahrtschein. Auch wenn ich die Textzeile “Ernstgemeinte Gesellschaftskritik, ich ficke Dich” schon sehr gelungen finde.

Ich gebe zu, ich bin jemand, der bei Musik oft nicht auf den Text hört. Liegt vielleicht daran, dass Techno größtenteils ohne Text auskommt und wenn es welchen gibt, ist er oft so dumm, dass Weghören die beste Lösung ist. Bei Huss und Hodn ging diese Strategie nicht auf. Je mehr ich versuchte wegzuhören, desto mehr ärgerte ich mich. Das also war das Ende der Reanimierung meines Hip-Hop-Ichs.

Das Wissen darüber kann mir allerdings keiner mehr nehmen. Wer weiß, wann sich das auszahlt! Meiner Wiener Crew zufolge finden nämlich alle Männer Huss und Hodn toll, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Eindruck schindet, wer mitreden kann. Der Rap als Flirt credibility sozusagen (dass Frauen Männern genauso imponieren wollen wie umgekehrt, ist ja wohl klar). Dazu fällt mir jenes ulkige Streetart-Werk ein, das neben ein Shakespeare-Porträt den Satz I’ll write that bitch a sonnet, bitches love sonnets stellt und sogar eine eigene Facebook-Fangruppe hat.
Frei nach dessen unbekanntem Schöpfer und ganz ganz frei nach Shakespeare heißt es dann: I’ll quote that dick Huss und Hodn, dicks love Huss und Hodn. Womit wir die Kurve zum Anfang des Textes gekriegt hätten. Dig this!