Mit der Grünen Woche korrespondiert. Vom Glauben abgefallen

Es fing schon problematisch an. Die erste Hürde auf dem Weg zur Internationalen Grünen Woche war der Presseausweis, den ich nicht hatte. Viele freie Journalisten haben einen, manche nicht. Bisher war das nirgendwo ein Problem, im Gegenteil, je vermeintlich wichtiger die Veranstaltung, desto lascher die Kontrolle. Kürzlich stieß ich bei der Fashion Week auf einen völlig aufgelösten PR-Agentur-Mitarbeiter, dessen Hände so sehr zitterten, dass er nicht in der Lage war, die Gästeliste umzublättern. Anstatt die Wartenden nach Hause zu schicken, ließ er sie ein mit einer angedeuteten Wink-Geste und den Worten “Ihr werdet schon drauf stehen.”

Mit dem Coolness-Faktor der Fashion Week kann es die Grüne Woche nur bedingt aufnehmen; übetriebene Vorkehrungen wären sicher nicht notwendig, dachte ich mir.  Nichtsdestotrotz startete ich frühzeitig den Versuch einer Onlineakkreditierung, das macht man heutzutage so. Weil ich keinen Presseausweis zum Hochladen hatte, verweigerte das System die Anmeldung. In dieser Stunde der Not wendete ich mich per Email an den für Presseangelegenheiten zuständigen Herr H. Einige Tage später erreichte mich eine standardisierte Antwort mit einer gut zehn Punkte umfassenden Liste der Nachweise, die ich statt des Presseausweises doch bitte nachreichen möge, um meine Existenz als Journalistin und als Mensch zu verifizieren. Darunter ein Schreiben meines Arbeitgebers mit offiziellem Briefkopf. Das kam mir latent übertrieben vor. Was tun? Ich pickte mit die weniger umständlichen Punkte aus der Liste, schickte ein pdf-Paket mit Arbeitsproben (das macht man heutzutage so) und die meisten anderen Nachweise. Dann passierte erst einmal nichts.

Viele Tage später antwortete Herr H., diesmal immerhin in einer persönlichen Mail, dass meine Existenzbeweise nicht ausreichten. Besonders stark pochte er auf die Bestätigung meines Arbeitgebers, am besten von so weit oben wie möglich. Ich glaube im Allgemeinen, dass die Menschen, je weiter “oben” sie sich befinden, andere Dinge zu tun haben, und im Besonderen, dass dies auch auf Herrn Döpfner zutrifft, also bat ich meine direkte Vorgesetzte um eine Bestätigung meiner journalistischen Existenz. Herr H. reagierte zügig und harsch; das reiche nicht. Meine direkte Vorgesetzte geriet daraufhin leicht in Aufruhr und verwechselte Herr H.’s Vor- mit seinem Nachnamen. Möglicherweise bedeutete das für meine Akkreditierung den Todesstoß. Von nun an schwieg Herr H.

Optimistisch gestimmt, machte ich mich ohne Akkreditierung auf zur Grünen Woche – die Erfahrung zeigt, dass man oft mit den Leuten nur reden muss. Am Presseschalter saß eine junge Frau mit osteuropäischem Akzent, der es minimal an Souveränität mangelte. Ich schilderte ihr mein Anliegen. Sie schüttelte den Kopf hinter dem dicken und gewiss schusssicheren Sicherheitsglas; wenn Herr H. seinen Segen nicht erteilt habe, sei da leider gar nichts zu machen. An dieser Stelle muss man vielleicht sagen, dass die Akkreditierung keinerlei Konsequenzen respektive Vorteile nach sich gezogen hätte, außer dem Wegfall des Ticketpreises von 13 Euro. Aufwand und Ergebnis stehen also in keinem Verhältnis. Jetzt allerdings war mein Ehrgeiz geweckt. Ich holte weit aus, rhetorisch und gestisch, und ließ mehrmals das Wort “aus Prinzip” fallen, versehen mit Sticheleien in Richtung eines Pressesystems einer Veranstaltung weltweiten Renommees. Die Frau hinter dem Sicherheitsglas bot an, Herr H. anzurufen. Mittlerweile hatte sich eine kleine Schlange hinter mir gebildet.

Während die Frau auf Durchstellung wartete, ließ ich den Blick über die furchtbar anachronistisch anmutende Eingangshalle schweifen. Schauplatz der Grünen Woche ist die Messe ICC. Spätestens hier findet die Vorstellung von Berlin als pulsierender Metropole ihr vorzeitiges Ende. Kein Wunder, dass hier Theaterprojekte stattfinden – man fühlt sich wie in einer Kulisse, einer ausgesprochen hässlichen. Den Architekten schwebte möglicherweise die Sowjet-Architektur vor; was wiederum zu den überzogenen Sicherheitsvorkehrungen passt, die hier getroffen wurden.

In der Zwischenzeit hatte sich Herr H. offenbar erbarmt, ans Telefon zu gehen. Während sie sprach, drehte sich die Frau hinter dem Sicherheitsglas von mir weg, als fürchtete sie um Enttarnung. Die Schlange hinter mir wurde immer länger. Je offensichtlicher mein Scheitern sich abzeichnete, desto kühner wurde ich, ähnlich einem Kapitän, der sich trotz herannahendem Sturm noch eine Pfeife anzündet. Hätte uns keine mehrere Zentimeter dicke Scheibe getrennt, nicht ausgeschlossen, dass ich der Frau den Hörer aus der Hand gerissen hätte, um endlich einmal selbst mit dieser mystischen Person am anderen Ende der Leitung zu kommunizieren. Bevor jedoch etwas wirklich Gravierendes passierte, beendete die Frau das Telefonat – wahrscheinlicher ist, dass es beendet wurde – und drehte den Oberkörper in meine Richtung mit den Worten: “Es tut mir sehr Leid, ich kann Sie nicht akkreditieren. Herr H. sagt, Ihre Arbeitsproben sind zu alt.”

Das stimmte nicht. Widerstand war allerdings zwecklos. Ein letztes Mal bäumte ich mich auf, verbal und gestisch, mit der Ankündigung, Herr H. eine wütende Email zu schreiben, in der ich ihm mitteilen würde, was ich von einem Pressesystem hielt, das sich offenbar an den 1970er Jahren, jedenfalls einer Zeit vor dem Internet orientierte, und überhaupt von der sogenannten Internationalen Grünen Woche, die in ihrer Provinzialität jeden Traktorwettbewerb in Hintertupfingen toppte, als mir der Herr hinter mir in der Reihe auf die Schulter tippte: “Schreiben Sie ihm doch einen Brief.”

Das habe ich nicht getan. Was ich allerdings aufgeschrieben habe, sind die ganz und gar unglaublichen Ereignisse, die mir auf der Grünen Woche – die ich dann zum Eintrittspreis von 9 statt 13 Euro besucht habe, denn es war Happy Hour – widerfahren sind. Und zwar hier.