Meine Muschi gehört mir: warum das Politische privat ist

Über meine Generation heißt es, sie sei unpolitisch. Ist das so? Wir jammern über unbezahlte Praktika, den neoliberalen Verwertungszwang, die competition um den schillerndsten Lebenslauf, und richten uns doch irgendwie ein in unserer comfort zone (“irgendwie” ist sowieso unser Lieblingswort, gleich danach kommt “keine Ahnung”). Comfort zone, das sind biedermeierliche Verhältnisse, die Aussicht auf die Eigentumsaltbauwohnung (hoffentlich nicht im Speckgürtel), das Zweitauto, die Biokiste und das Zeit-Abo fürs Tablet. Irgendwann – denn momentan kompensieren wir unser durch das unbezahlte Praktikum herbeigeführte finanzielle Defizit mit seltsamen Nebenjobs (im Stewardessenkostüm seine feministischen Ideale verraten) oder bezahlen mit dem schlechten Gewissen den Eltern gegenüber.

Anderswo (irgendwo) nutzen Menschen unserer Altersklasse Twitter für Rebellionen oder wenigstens Flashmobs. Hierzulande nimmt der Katzencontent der aus Berlin-Mitte abgesetzten Tweets langsam aber sicher überhand. Es liegt nicht daran, dass deren Verfasser unreflektiert wären. Eher geht es uns allen (und da nehme ich mich nicht raus) doch ganz gut, gut genug, um lieber Fotos unseres Essens zu posten, als sich zu fragen, ob unsere Probleme wirklich nur selbstverschuldet sind. Dabei steht uns mit dem Internet eine demokratische Waffe zur Verfügung, wie sie keine Generation vor uns hatte. Politik, das sind nicht nur die ersten Seiten in der Tageszeitung und alle vier Jahre der Wahl-O-Mat. Und doch fühlen wir uns erst angesprochen, wenn die Politik ihre Regierungsviertelrealität verlässt und in unseren Alltag dringt.

Erfreulicherweise passiert gerade etwas. Schauplatz ist Twitter, dieses digitale Grundrauschen, dieser unüberschaubare Sprechraum, blau und weit wie der Himmel. Zwischen dem Strom von Aperçus und Banalitäten entwickeln sich Debatten, von denen einige den digitalen Raum verlassen. Geht es dabei um Feminismus, wirken manche didaktisch (wie die Seite “Ich brauche Feminismus, weil…”, die zum schematischen Halbsatz-Ergänzen einlädt), manche banal (darf eine Frau Steuern hinterziehen?) – aber manchmal geschehen so erstaunliche Dinge wie die Aufschrei-Debatte vor gut einem Jahr, dessen Initiatorin Anne Wizorek verdienterweise mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde.

In diesen Tagen demonstrieren erneut zwei Hashtags, welche Chancen eine digital vernetzte Gesellschaft birgt. Bei beiden geht es um die Parameter von Weiblichkeit. Rasant verbreitete sich Lara Fritzsches im SZ-Magazin erschienener Text über Essstörungen in der Schwangerschaft. Fritzsche zufolge akzeptiert eine steigende Zahl von Frauen eine Gewichtszunahme nicht einmal, wenn sie ein Kind erwartet. Vorbilder sind all die Beckhams und Klums, die wenige Tage nach der Geburt praktisch so aussehen wie vor der Schwangerschaft und Zeitgenossen wie der Personal Trainer von Sidos Ehefrau, der seine Kundin zur MILF machen will (ja, das steht für mother I’d like to fuck). So traurig dieses Thema stimmt, so wenig überrascht es, ist es doch die logische Konsequenz des weiblichen Schönheitsdiktats. Darauf Bezug nehmend versammelt der Hashtag #alsichschwanger war Wortmeldungen von Frauen, die von mitleidigen Blicken ihrer Umwelt erzählen, von Tips fürs Workout mit Baby und sexistischen Kommentaren wie “Jeder kann irgendwas gut. Und du kannst gute Babys machen.”

Der zweite feministische Schauplatz ist die Legalisierung der “Pille danach.” Ein Versprechen der Großen Koalition war die Überprüfung der Rezeptpflicht mit der Ausssicht, die “Pille danach” frei zu verkaufen. Ginge es nach der Mehrheit der Twitter-User, stünde dem nichts im Wege. Anders sieht das der amtierende Gesundheitsminister Hermann Gröhe, der findet, “wir brauchen einen zügigen, diskriminierungsfreien Zugang zur ‘Pille danach’, und wir brauchen gute Beratung. Das ist am besten gewährleistet, wenn es bei der Verschreibungspflicht bleibt.”

Gröhes reaktionäre Vorstellung von Selbstbestimmung erinnert an die Forderung “Mein Bauch gehört mir”, mit dem die Generation unserer Mütter aufbegehrte wider eine Bio-Politik, die den Willen des Individuums aushebelt. Wir Nachgeborenen kennen die Abtreibungsdebatte nur aus Erzählungen und vom Cover des Sterns, das Frauen 1971 unter der Überschrift “Ich habe abgetrieben” versammelte. Müsste es in Anlehung daran jetzt nicht heißen: “Meine Muschi gehört mir”? Denn was hat ein Politiker wie Hermann Gröhe damit zu tun? Dessen sehr schwachem Argument, es komme in seltenen Fällen nach Einnahme der “Pille danach” zu schweren Nebenwirkungen, steht eine Tortur gegenüber, die jede Frau über sich ergehen lassen muss, die fürchtet, ungewollt schwanger zu sein. Dabei ist der Veweis auf eventuelle Nebenwirkungen noch um Welten besser als die Behauptung, die “Pille danach” würde rezeptfrei als Verhütungsmittel genutzt – ganz so, als ob dieses Land nur aus pubertierenden Chantals bestünde, die nicht wissen, woher die Babies kommen; wobei selbst diese durch ihren Youporn-Konsum aufgeklärt genug sind.

Der sogenannte diskriminierungsfreie Zugang, lieber Herr Gröhe, sieht in der Realität so aus: Sexpannen passieren eigentlich immer am Wochenende oder an Feiertagen; frau kann froh sein, wenn es Freitagnacht geschieht und der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass ihr Frauenarzt Samstagsdienst schiebt (wir sprechen hier nicht von den hintersten Winkeln der Povinz, sondern einer Millionenstadt). Wenn nicht (und das gilt für die meisten Fälle), folgt auf das Durchtelefonieren der Google-Ergebnisse der Gang zur Apotheke, wo einem tumbe Mitarbeiter Adressen von Notfallpraxen am anderen Ende der Stadt aushändigen, auf Nachfrage vorschlagen, man solle doch lieber ins Krankenhaus fahren, einem eine unzulängliche Google-Maps-Wegbeschreibung zusammenschustern, um einen mit einer Packung Taschentücher ins “schöne Wochenende” zu entlassen. Je nachdem, welche Umstände zum Unfall führten, hat die vermeintlich Schwangere noch mit der psychischen Komponente zu kämpfen; glücklich all jene, die in festen Händen sind und deren Familienplanung vielleicht sowieso auf der Stelle tritt und einen Schubs in die richtige Richtung braucht. Vielleicht begleitet diese Glücklichen sogar der gleichwohl am Ereignis beteilgte Gegenpart auf ihrer Odyssee durchs medizinische Versorgungssystem. Wenn nicht, gilt es, den tränenverschleierten Blick zu senken und, falls es Winter ist, das verquollene Gesicht im Schal zu vergraben auf seinem walk of shame, den man geht wie ein gebeutelter Hund. Hat man nach stundenlangem Fußmarsch sein Ziel erreicht – wer besonders großes Pech hat ohne Schirm im Regen – wird man in die Notaufnahme geschickt, dort darauf hingewiesen, dass die “Pille danach” kein Notfall sei, allerdings ohne Untersuchung und persönliches Gespräch kein Rezept ausgestellt werde. Die Wartezeit betrage derzeit etwa drei Stunden und den Unkostenbeitrag von 52 € für die Untersuchung und das Gespräch müsse die Patientin selbst tragen. Die Untersuchung? Das Gespräch? Früher genügte es meines Wissens nach, den sinnlosen Weg zur Arztpraxis zu beschreiten; verpflichtende Gespräche gab es bisher nur vor Abtreibungen, oder? Es ist der Patientin in ihrer prekären Situation, herbeigeführt durch ihr unbezahltes Praktikum, nicht möglich, diese Summe (plus die rund 20 € für das Präparat) aufzubringen, also lässt sie es. Für all jene, die auf dem Weg zum Heiligen Gral, der die “Pille danach” ist, vorzeitig scheitern, bleibt die Etablierung eines neuen Twitter-Hashtags #alsichschwangerwurde. Oder sie nennen ihr Neugeborenes Hermann, as a tribute.

Auch wenn der Ausgang der Diskussion um die “Pille danach” ungewiss ist und die geltenden Schönheitsideale durch einen mutigen Text nicht außer Kraft gesetzt, sind sowohl #alsichschwangerwurde als auch #pilledanach ein Indiz für die Chancen einer digitalen Debattenkultur. Wir müssen unsere comfort zone verlassen. Wir müssen unsere Sorgen und Ängste teilen, die Niederlagen und die unschönen Ereignissse , anstatt nur die Instagram-Fotos unserer Haustiere. “Ich habe auch während der Schwangerschaft Kalorien gezählt.” “Ich wollte mir die ‘Pille danach’ holen und es war der schlimmste Tag seit langem.” Wir müsssen aufhören, alle Probleme als persönliches Versagen zu werten. Mithilfe von Partizipation, Mut und ja, warum nicht, einem weißen Vogel auf blauem Grund. Nutzen wir unsere Macht. Weil das Private verdammt noch mal politisch ist.