Männer sind nicht so. Frauen auch nicht

In einem fernen Land, wo Palmen wachsen und sich ein mattweißer Schriftzug über eine Hügelkette schlängelt, gebietet eine verhältnismäßig kleine Anzahl Leute über die Zukunft des Films. Jedes Jahr zur selben Zeit, wenn hierzulande noch Schnee liegt oder bestenfalls eine laue Brise auf den baldigen Frühling hoffen lässt, grübeln Schauspieler, Regisseure und Produzenten, welche Filme einen Oscar verdient haben, diese glanzvollste aller Auszeichnungen. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesen knapp 6000 Mitglieder der sogenannten Academy um die besten Köpfe ihres Fachs handelt (um noch ein Mal auf die “verhältnismäßig kleine Anzahl Leute” zu verweisen: 6000 ist natürlich eine mittlere Kleinstadt im Vergleich zu der WG-Größe der meisten Festivaljurys, allerdings gemessen an den Abermillionen Kinogängern ein Witz).

Da Filme ästhetische, sich objektiven Kriterien versperrende Produkte sind, erweisen sich manche Nominierungen als Griff ins Klo. Der Schwarm kann irren. So selten Abseitiges in den Fokus dringt (daür gibt es Independentfestivals), so vorhersehbar sind viele der Oscarnominierungen. Historische Stoffe ziehen immer, gerne patriotisch aufgeladen (in diesem Jahr etwa “12 Years a Slave”). Übermenschliche schauspielerische Leistungen werden wohlwollend bedacht (Matthew McConaughey, der für seine Rolle in “Dallas Buyers Club” 20 kg abnahm)  und glücklicherweise bemerkt Hollywood im Jahr 2014 AD auch einmal, dass der cineastische Horizont nicht an den Grenzen Amerikas endet und dass es sogar noch weitere Kontinente gibt als dieses seltsame Europa (das sich viele wahrscheinlich so puppenstubenhaft vorstellen wie Wes Andersons “Grand Budapest Hotel”, das gerade auf der Berli-what? lief). Kurzum: Die Auswahl der alljährlich produzierten Filme ist schlichtweg zu unüberschaubar, die Interessen der Academy-Mitglieder zu heterogen, als dass Gerechtigkeit walten könnte.

All das habe ich im Hinterkopf, als ich mir “The Wolf of Wall Street” anschaue. Die Voraussetzungen scheinen vielversprechend. Martin Scorsese ist einer jener Regisseure, auf den sich beim Smalltalk alle irgendwie eingen können. Leonardo DiCaprio gehört zu der A-Klasse US-amerikanischer Schauspieler und hat sich spätestens seit seinem Auftritt als Plantagenpatriarch in “Django Unchained” vom Bubiboy-Image befreit. Die paar Rezensionen, die ich zu “The Wolf of Wall Street” gelesen habe, waren wohlwollend; höchstens wurde bemängelt, dass Scorsese die Partyszenen auf die Hälfte hätte eindampfen können, weil irgendwann auch der Lokalblattkritiker in Bad Segeberg verstanden hat, wie dirty es an der Wallstreet zugeht.

Aber es kommt anders. Nach zehn Minuten durchleide ich den optischen 80s-Overkill, zumindest, bis die Jahreszahl 1987 die Erklärung liefert für die geschmacklichen Entgleisungen in der Ausstattung (wobei auch 1987 sicher keine Friseurin so eine entsetzliche Frisur getragen hat wie Cristin Milioti als aussortierte Ehefrau). Dankbar sein muss man lediglich für Jonah Hill als drolligen Napoleon Dynamite-Verschnitt, der eine Hornbrille mit Fensterglas trägt, “um zur Oberschicht zu gehören.” Der immer fabelhafte DiCaprio hingegen kann nur bedingt gegen die Schablonenhaftigkeit seiner Figur anspielen. Als Jordan Belfort vollzieht er den Wandel vom Grünschnabel, der die Oliven als Fingerfood versteht anstatt als Martini-Einlage, hin zur dauerverdrogten personifizierten Kreditkarte ohne Auftragslimit und ohne Plan (“Aktien? Wen interessiert dieser Scheiss?”) so, wie Schauspielschüler es im ersten Jahr lernen: vorhersehbar. Nicht nur die stumpfen Dialoge und die Schulterpolsteroptik, auch der Schauplatz Manhattan erinnert an “American Psycho”, ein Film, dessen Hype sich mir nie erschloß – auch nicht unter Berücksichtigung einer ironischen White-Trash-Komponente.

Nach eineinhalb Stunden frage ich mich ernsthaft, was noch kommen soll. Bei Filmen verhält es sich wie bei Theateraufführungen: Für Überlänge muss es einen Grund geben. Den sehe ich bei “The Wolf of Wall Street” nicht. Einmal schrecke ich aus dem Halbschlaf auf, da fällt der Name Steve Madden, ein genialer Schuhdesigner (“alle wollen ihm einen blasen”), den es wirklich gibt, das weiß ich, weil ich Steve Madden-Schnürschuhe besitze, mit einer goldenen Stahlkappe an der Spitze, mit der ich Drehbuchautoren gerne in den Hintern treten würde, die sich solche Dialoge ausdenken: “Schön die Schlange in Bewegung halten, dann bleibt das Blut in Wallung und der Unterleib im Rhythmus.”

All das wäre irgendwie okay, kein Film muss zu Ende geschaut werden, der Schwarm irrt (siehe oben). Es gibt sie ja, die klugen, differenzierten, verstörenden kulturellen Beiträge zur Finanzkrise, etwa Elfriede Jelineks “Kontrakte des Kaufmanns” oder, ungeschlagen, Rainald Goetz’ Prosa gewordene Manie “Johann Holtrop.” Auch kann nicht abschließend geklärt werden, ob die Realität nicht doch so überdreht ist wie der Oscarkandidat sie darstellt, schließlich arbeiten sich in Londoner Banken Praktikanten zu Tode. Wäre da nicht das erbärmliche Frauenbild, das Scorsese zeichnet. Dass ein schöner Frauenarsch geadelt wird, indem man Koks darauf zieht, hat uns Sido gelehrt. Dass Frauen aber nur noch in zwei Klassen eingeteilt werden, nämlich “scharfe Mäuse” (unterteilt in jene, die es für Geld machen oder einfach so) und lästige Ehefrauen, das muss man sich als Weltklasseregissseur erst mal trauen. Die einen fangen die Wutanfälle ihres männlichen Gegenübers auf, die anderen seine Körperflüssigkeiten. Beinahe wehmütig denkt man an “Mad Men” zurück, wo Frauen zwar auch nur Spielbälle Whiskey saufender Karrieristen waren, aber wenigstens extrem gut angezogene Spielbälle. Bei Scorsese hingegen sind sie meistens nackt. Jede weibliche Rolle ist ein auf Highheels wandelndes Klischee, entweder dauergeil oder frustriert weil frigide. Selbst die Bankangestellte (eine, die ihr eigenes Geld verdient!) lässt es sich nicht nehmen, sich für 10 000 Dollar eine Glatze rasieren zu lassen, um sich den Lebenstraum vom C-Cup zu erfüllen.

Um noch ein Mal auf den Vergleich mit “American Psycho” zurück zu kommen: Vielleicht ist das alles ja total ironisch gemeint. Vielleicht hat Scorsese sein Ziel erreicht, wenn weltweit ein paar Frauenrechtlerinnen das Popcorn im Hals stecken bleibt angesichts der saublöden Inszenierung von Weiblichkeit, die – natürlich! – eine Persiflage ist. Mit den Persiflagen ist das aber so eine Sache – und das kann ich gerade heute sagen, nachdem ich gestern aus halbunerfindlichen Gründen einen TV-Krimi sah mit Daniela Katzenberger in der Rolle als Busenblondine vom Sparkassendienst (“was für ein Fahrgestell”, sagte der Sparkassenleiter), woraus sich eine Diskussion entspann über die Ironiefähigkeit des deutschen Durchschnittszuschauers. Auf die Gefahr hin, dass aus mir eine Minderheitenarroganz spricht: Ich glaube nicht, dass es bei allen Zuschauern “klick” macht, wenn die Katzenberger ihre auftätowierten Augenbrauen hochzieht und die für Ironie zuständige Hirnregion anspringt. Ich glaube, es gibt Frauen, die sich bei ihrem Anblick eine Brust-Op wünschen, damit es beruflich voran geht und Männer, die in ihrem Büro eine Minirockpflicht einführen wollen. Um die Kurve zur Wallstreet zu kriegen: Mancher Frankfurter Wirtschaftsboss fragt sich bestimmt, warum nicht jeden Freitag vierzig geile Blondinen den Bankenturm stürmen und die Bürotoiletten zur sexfreien Zone erklärt werden müssen. Und Frauen, die glauben, dass eine gute Optik und eine Intimrasur den Rest schon richten werden, wird Scorsese in ihrer Weltsicht bestätigen.

Dabei ist “The Wolf of Wall Street” nicht nur misogyn, sondern auch männerverachtend: weil er in die alltbekannte Kerbe des entfesselten Kapitalimus haut, der ja viel handzahmer wäre, wenn es eine Quote für Frauen in den Chefetagen gäbe und weil er Männer auf ihre Gier und ihr Geschlechtsteil reduziert. “Es ging nicht nur um Sex. Wir hatten auch ähnliche Interessen und so”, sagt der Protagonist über seine zweite Ehefrau, eine Dessousdesignerin, die ihre mit pinker Schleife verzierte Tochter in einem rosa Zimmer platziert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ernsthafteste Auseinandersetzung unter Chefs jene ist, ob man für die Betriebsfeier in menschliche Kanonenkugeln oder Dartpfeile investiert. Männer sind nicht so. Frauen auch nicht. Und wenn der Kapitalimus so dumm wäre, dann hätten seine Gegner ein leichtes Spiel. Einmal die upper (Koks) gegen die downer (Valium) ausgetauscht und alles wäre gut.

For your interest: Andere Menschen haben großartige Filme gedreht im letzten Jahr. Zum Beispiel Woody Allen. Dessen “Blue Jasmine” ist auch das Psychogramm einer kaputten, vom Geld verdorbenen Kreatur, die langsam abdriftet in die Neurose. Mit dem Unterschied, dass hier eine breite Farbpalette schimmert, wo bei Scorsese Schwarz (der böse Wolf!), Weiß (die integren Ehefrauen!) und Rot (die versauten Nutten!) dominieren. Cate Blanchet in der Titelrolle ist immerhin als beste Schauspielerin nominiert.