Ich hab schon Barbies kotzen sehn

Beim Wort Autokino denke ich an drollige Teeniepärchen in einer amerikanischen Kleinstadt oder wahlweise an den Kapitän der Highschool Footballmannschaft mit Haartolle und Strickbündchenblazer, der die außergewöhnlich intime Atmosphäre seines Cadillacs (oder so) nutzt, um der blonden Cheerleaderin neben ihm hemmungslos unter den Rock zu greifen.

Autokino ist aber in diesem Fall in Berlin-Mitte und zwar in der Temporären Kunsthalle. Was den Konsens des sogenannten Feuilletons betrifft, kann man diese Institution in die Tonne treten. Habe ich nie verstanden, weil ich bisher alle Ausstellungen mehr oder weniger gut, zumindest annehmbar fand. Nun also Autokino! Die erste Ernüchterung kommt in Form des Hinweises, man möge doch bitte im Vorfeld reservieren. Spontane Museumsbesuche (die insbesondere kurz vor Hausarbeitsabgabeterminen ja öfter vorkommen) sind somit nicht möglich. Der Mitarbeiter nuschelt ins Telefon und schreibt meinen Namen ganz bestimmt falsch auf und tatsächlich erreicht die Bestätigungs- Email niemals- weder 48 Stunden vorher, noch danach- ihr Ziel. Rein kommen wir trotzdem. Spontane Begeisterung löst meinerseits der Raum selbst aus, der Bus mit Popcorn Verkauf und dem Vintage- Kühlschrank und den charmant- trashigen Wagen; meine Begleitung hingegen freut sich über unser Auto, einen BMW (oder so). Nachdem ich auf der FahrerseitePlatz genommen habe und zum x- ten Mal im Programmheft nachschaue, welchen Film wir uns völlig random ausgesucht haben, wird das Licht auf Fummelfrequez gedimmt und es geht los. Der erste Beitrag wird im Progamm gar nicht aufgeführt und ist auch sonst nicht der Rede wert (Blick aus einem Grab nach oben, tanzende Menschen, die Erde herunterwerfen, eine Frau, die mit gespreizten Beinen über den Abgrund tänzelt und dem Zuschauer ihren Schritt präsentiert, auf dem “sexy” steht). Der zweite Film ist von einer Künstlerin namens Claudia Schillinger und scheint eine Art feuchten Traum darzustellen. Eine Frau liegt mit geschlossenen Augen auf einer blühenden Wiese, es folgen bemerkenswert ästhetisch gefilmte Sequenzen von Hintern, Brüsten und einem schönen Frauenprofil. Wir nicken zustimmend.

Dann die Überraschung: Der dritte und letzte Beitrag erzählt die scheinbar wahre Geschichte der Geschwister Carpenter. Karen und Richard stammen aus einer US- amerikanischen Kleinstadt (so komme ich doch noch zu meinem Autokino- Setting) und werden dank Karens außergewöhnlicher Stimme, ihrem supercleanen Image und der Interpretation eingängiger Popmelodien berühmt. Karen kultiviert mit der Zeit eine kleine Essstörung. Familie und Freunde tun ihr Möglichstes, um sie davon abzubringen, aber Anorexia nervosa trägt den Sieg davon (für alle, die nicht wissen, was Anorexia nervosa ist, werden immer wieder kurze informative Beiträge im Stil der Apothekenumschau eingestreut). Das alles reicht nicht aus, um den Zuschauer 45 Minuten zu unterhalten. Vielmehr sind wir gebannt von den Schauspielern, die nämlich keine Menschen sind, sondern Barbiepuppen. Karen hat eine sehr ungesunde Hautfarbe und ihre Mutter sieht aus als wäre ihre rechte Gesichtshälfte weggeschmolzen. Unvergesslich die Szene, in der das Püppchen Karen zu den Diätpillen greift und ihren Kopf anschließend in die Kloschüssel steckt.

Wir verlassen das Kino mit Popcorn zwischen den Zähnen und dem Vorsatz, zuhause erstmal die Carpenters zu googeln. Wenn ich jetzt noch Schlingensief sehen darf, werde ich auch in Zukunft die Temporäre Kunsthalle lautstark verteidigen.