How to survive… Mitmachtheater (Der Tragödie zweiter Teil)

„Club Inferno“: Lange nicht mehr so ungeduldig auf ein Theaterereignis hingefiebert. Düstere Videos auf der Website, eine Altersfreigabe ab sechzehn und das en détail im vorherigen Post beschriebene Prozedere der Kartenbeschaffung. Und dann? Wie immer finden einige Besucher das alles zum Kotzen respektive peinlich bemüht und billig gebastelt, während andere das unmittelbare Erlebnis und das große Ganze loben, um das es geht. Allein das Durchstöbern der Kommentare unter dem Text meines Nachtkritik-Kollegen hat mich längere Zeit beschäftigt.

Wie erwartet war der Ort des Geschehens nicht die Berliner Volksbühne, sondern ein Fabrikgebäude im gruseligen Wedding. Wie erwartet war der Besuch verstörend, turbulent und so ereignisreich, dass man unmöglich dem Anlass angemessen davon erzählen kann.

Ich begnüge mich daher mit ein paar hastig hingeworfenen Notizen, wahlweise zu lesen als skizzenhafte Impressionen oder als Gebrauchsanweisung für den nächsten Signa-Abend:

– Man muss sich jetzt auch vorm Theaterbesuch überlegen, ob man ein frisches Paar Socken trägt, vorzugsweise ohne Löcher und peinliche Motive. Wenn schon nicht unifarben, so sind abstrakte Muster in gedeckten Farben unbedingt Tiermotiven vorzuziehen.

– Gleiches gilt für die Unterwäsche: Passen die einzelnen Stücke zueinander? Nichts Transparentes! Und auch nichts, was im nassen Zustand transparent zu werden droht!

– Über den Umgang der einzelnen Spielstätten mit zu spät kommenden Gästen ließen sich ganze Abhandlungen verfassen. These: Je spießiger das Theater, desto unmöglicher der Einlass für Nachzügler. Beim „Club Inferno“ ist die sonst gar nicht spießige Volksbühne sehr kleinlich: Eine Minute (!) nach der Zeit auf der Einladung und der völlig abgehetzte Gast (ich) muss warten, bis in den folgenden Gruppen ein Platz frei wird. Da steckt der Teufel im Detail.

– Was gäbe ich dafür, am Premierenabend dabei gewesen zu sein. Die Vorstellung eines Häufleins Kritiker, die ohne Schuhe durch die Höllenkreise schlurfen, sich mit Portwein beträufeln lassen und flüssige Schokolade von den Wurstfingern des Dionysos lecken, amüsiert mich sehr.

– Keine Sorge: Grundlegende menschliche Bedürfnisse kommen zu ihrem Recht. Selbst in der Hölle gibt es Toilettenpapier, Mülleimer für Hygieneartikel und alkoholfreie Energydrinks.

– Ein Wodkashot von ganz teuflischer Qualität kostet genau doppelt so viel wie in ähnlich zwielichtigen Etablissements, die unter dem Label „Eckkneipe“ firmieren und gehört bedauerlicherweise zum obligatorischen Abschluss des Taufrituals.

– Ein Jahrzehnt später zahlt es sich aus, im Religionsunterricht nicht nur Käsekästchen gespielt zu haben: Der Fährmann, welcher uns über den „Styx“ schaukelt, schließt mich ganz besonders ins Herz, nachdem ich als einzige in der Gruppe rate, warum er uns Essig statt Wasser über Kopf und „zwischen die Brüste“ kippt. Es lebe die kultivierte Blasphemie!

– Gib alles Bargeld an der Garderobe ab. So kannst Du Dich elegant aus der Wodkaprozedur rausreden (siehe oben) und wirst Dein Geld nicht mit Leib und Leben gegen eine prollige Videogamerin verteidigen müssen, die damit eine Anzahlung auf ihre Traumknarre machen will („und dann leg ich als erstes den Helmut um“).

– Kichernde Pierrots gehören ab sofort in dieselbe Gruselschublade einsortiert wie der Clown in Stephen Kings „Es“ und Bruce Naumans kreischende „Clown Torture.“ Ganz besonders, wenn sie sich an Dich schmiegen und sich mitten in der non-verbalen Kommunikation zwischen die Beine fassen und dabei quietschende Geräusche von sich geben.

– Stehe niemals vom Sofa auf, ohne Dich von der darauf sitzenden Schauspielerin zu verabschieden, auch wenn sie in ein Gespräch vertieft ist. Außer, Du findest es inspirierend vor allen Umstehenden minutenlang als Unmensch beschimpft zu werden, an dem jegliche Form sozialer Umgangsform spurlos vorübergegangen ist.

– Fange niemals an, bei der Beerdigung eines Selbstmörders deutsche Volkslieder zu singen: Du wirst so lange nicht aufhören können, bis der letzte Trauergast sich erbarmt, Dich zu begleiten.

– Als Frau: Gib nichts auf das sehr flüchtige Interesse homosexueller Männer mit goldenen Phalli vor ihrem sogenannten Gemächt: Schneller als Du „Ich bin nicht vergeben“ sagen kannst, wenden sie sich der osteuropäischen Dame ohne BH zu. Als heterosexueller Mann: Flüchte, solange es geht. Sonst reitest Du im Schwanz-, pardon Handumdrehen halbnackt auf einem goldenen Kalb oder musst Dich, schlimmer noch, an dessen Hinterteil zu schaffen machen.

– Mit großer Bestimmtheit prognostiziere ich, dass ich mir niemals eine Bodylotion kaufen werde, die nach Kölsch Wasser riecht.

– Mit ebensolcher Bestimmtheit ist mir auf ewig die Lust auf Würstchen im Fingerfood-Format vergangen, ebenso die Freude an Schokobrunnen und Mäusespeck in Herzchenform.

Don’t forget to go home: Was in Berlin für viele Orte des nächtlichen Amusements gilt, ist auch hier Gesetz. Leg es nicht darauf an, als Letzter zu gehen. Je später die Stunde, desto schöner die Gäste, dieses Bonmot wäre noch zu verifizieren.

– Und schließlich: Gehe nach dem Theater direkt nach Hause. Ziehe keine Zwischenstation in Betracht. Nutze öffentliche Verkehrsmittel nur, wenn unbedingt nötig. Schaue niemandem in die Augen. Versuche nicht, den Flitter in Deinen Haaren, die Sprühsahne auf Deiner Hose oder die Schokolade um Deinen Mund mit einem gequältem Lächeln zu überspielen. Sieh der Realität in die Augen. Wenigstens warst Du dabei.