“Geheiratet werden wollen.” Terrence Malicks bescheuerter Beitrag zum Feminismus

Terrence Malick ist der Anästhesist unter den Filmregisseuren. Ihm gelingt das seltene Kunststück, fragwürdige Botschaften mit so sphärischen Bildern zu unterlegen, dass man die Botschaften dahinter einfach schluckt. Am Ende seiner Filme ist es, als würde man aus einer Narkose aufwachen, schläfrig, benommen. “The Tree of Life” gehört definitiv zu den besten Filmen des Jahres 2011. Obwohl auch hier die Message eine ganz und gar idiotische ist. Die Message von “The Tree of Life” lautet: Gott ist groß, Gott ist gut. Wenn es Gottes Wille ist, Dein Kind sterben zu lassen, akzeptiere es. Von der ersten viertel Stunde an, die eine Schöpfungsgeschichte im Schnellraffer ist, mit schwebenden Urfischen in Slow Motion und dem unverzichtbaren Symphonieorchestersoundtrack, bis zur Schlussszene am Strand, unter dem endlosen Himmel mit dem unsichtbaren Gott darin, ist “The Tree of Life” ein Film, der auch Leute, die sehr selten bei Filmen weinen, zu Tränen rührt. Malicks teleologisches Weltbild – von der Sünde zur Erlösung – muss man nicht mögen, um die visuelle Pracht seiner Filme wertzuschätzen.

Sein neuer Film heißt “To the Wonder.” Schon der Titel offenbart eine ästhetische Megalomanie: Das Leben, die Schöpfung, die Liebe, darunter macht Malick es nicht. In Erinnerung an den Lebensbaum, habe ich mich sehr auf “To the Wonder” gefreut. Es wird halt wieder um Gott gehen, gell. Erzählt wird die Geschichte eines Paares, des US-Amerikaners Neil und der Ukrainerin Marina, die sich auf einer Frankreichreise kennenlernen. Neil nimmt seine Geliebte mit nach Amerika, wo die beiden ein Haus kaufen und heiraten. Bereits hier beginnt die Problematik: Marina will die Hochzeit, Neil nicht. Oder zumindest nicht so richtig. Oder wahrscheinlich eher nicht. Neil sagt nämlich sehr wenig, besonders in wichtigen Momenten. Wenn Marina ihm hingebungsvoll ins Ohr flüstert “ich gehöre Dir”, blickt er zu Boden.

Irgendwann heiraten sie doch, es muss ja alles seine Ordnung haben im frommen mittleren Westen der USA. Doch Marina ist nicht glücklich, verloren und fremd im Exil, getrennt von ihrer Tochter (wann diese warum zurück nach Frankreich ging, habe ich nicht verstanden). Dass es auch etwas mit Neils Schlurfigkeit zu tun haben könnte, darauf bringt sie ihre einzige Freundin Anna, die alleinige Sympathieträgerin im ganzen Film. Anna wirft Marinas Tasche ins Gebüsch (“die findet doch keiner”), stellt sich mitten auf die Straße und schreit “kommt und holt mich”, trinkt Flaschenbier auf Dachterrassen und bestärkt ihre Freundin in ihrer Eigenständigkeit. Tatsächlich betrügt Marina kurze Zeit später Neil (während der Sexszene immer prominent im Bild: der Ehering). Als sie den Betrug gesteht, reißt Neil den Seitenspiegel vom Auto und zwingt Marina, auf offener Straße auszusteigen. Steht nicht in der Bibel, wer ohne Sünde sei, werfe den ersten Stein? Neil hatte nämlich zwischenzeitlich eine Affäre mit seiner Jugenliebe Jane, einer patenten Pferdezüchterin, die ebenfalls geheiratet werden möchte (was für eine gruselige Passivkonstruktion!). Filmisch gelöst wird das so: Jane flüstert Neil ins Ohr “Ich möchte Deine Frau werden. Ich liebe Dich.” Neil sagt nichts. Irgendwann ist die Affäre zu Ende, Jane leidet, Neil kehrt zu Marina zurück.

Ehrlich gesagt, hätte ich die Handlung komplett anders wiedergegeben als das auf Wikipedia geschieht. Haben die beiden nicht erst in Paris gelebt, der Heimat Marinas? Lief ihr Visum nicht schon viel früher ab? Ach, sie ist gar nicht Französin? Woher kommt das Kleinkind am Ende des Films? All das kann meiner Schläfrigkeit geschuldet sein oder aber der Kargheit des Films. Es wird nichts erklärt, sowieso kaum gesprochen. Zudem erlaubt Malick sich kleine Spielereien einer nicht-linearen Dramaturgie, was dazu führt, dass man manchmal nicht weiß, ob Neil und Marina schon wieder getrennt sind oder immer noch.

Beeindruckend ist allemal, wie Malicks Religionsdogma sich erneut durchs filmische Hintertürchen schleicht. Die willkürlich eingelesenen frommen Sprüche machen keinen Sinn, ebenso wenig die Bilder von ausgezehrten, gewiss vom rechten Weg abgekommenen Gestalten. Wieder stirbt ein Kind, dessen Verlust akzeptiert und mit Bibellesen verarbeitet wird. Der Herr gibt, der Herr nimmt? Anderswo verfallen sie durchs Beten in kollektive Ekstase oder strecken ihre Hände zum Himmel, als würden sie die Schönheit des Wetterumschwungs preisen. Ein Wunder, dass niemand “Laudato si” anstimmt. Überhaupt nervt an “To the Wonder” der inflationäre Gebrauch von Rührmusik. Inflationär bedeutet, dass ich beim Schauen zeitweilig glaubte, ich hätte aus Versehen auf die Playtaste meines Computers gedrückt und im Hintergrund liefe iTunes, so penetrant legt sich die Musik über Dialoge, Hintergrundgeräusche, störend und minutenlang. Kaum ist es einmal für einen Moment still, tirilliert es wieder.

All das wäre verzeihlich, denn wieder sind einige der Bilder so schön, dass man sie als Filmstills auf dem Sperrbildschirm seines Smartphones haben will. Farbpaletten ausgießende Wolkenformationen, Orchideen in Großaufnahme, verlassene Diners, einsam leuchtende Tankstellen, die wirken, als seien sie einem Gemälde von Hopper entsprungen. Paris als Kitschproduktionsstätte darf nicht fehlen. In Malicks Welt ist das Gras immer feucht vom Tau, ist die Sonne immer kurz vorm Untergehen. Zaunlatten sind nur deswegen löchrig, damit das Sonnelicht durscheinen kann. Momenten allzu großen Kitsches beugt die unkonventionelle Kameraführung vor (unruhig, ruckartig die Figuren umkreisend, oftmals aus der Froschperspektive), durch die der Bilderanästhesist Malick schon beinahe in Richtung Arthouse schielt.

Was “To the Wonder” zu einem unerträglichen Film macht, ist das von ihm vertretene Frauenbild. Weder Marina noch Jane scheinen einer Arbeit nachzugehen (auch wenn Jane ab und an Pferden beim Im-Kreis-Traben zusieht). Die brauchen sie auch nicht, denn die Liebe zu Neil ist ein Fulltime-Job. Keine ist Neil genug, weder Marina als rassige Osteuropäerin mit Tänzerinnenfigur, noch Jane als das bodenständige American Girl mit Reiterstiefeln und Grübchen. Das Heiratsdiktat der Kirchengemeinde haben diese Frauen voll und ganz verinnerlicht. Ebenso ihre Hingabe an das andere Geschlecht als alleiniger Lebensgrund, zumindest, bis sie das Muttersein zusätzlich beglückt. Es sind Überfrauen wie Jessica Chastain in “Tree of Life”, wunderschön, zerbrechlich, ihr Schicksal mit Würde tragend. In der Summe ergeben Marina und Jane die Variation der Heiligen-/Hurenthematik, gepaart mit einem Schuss Infantilität, weswegen die Frauen öfter mal auf dem Boden umherrollen oder barfuß über Maisfelder hüpfen.

Ben Affleck als Neil hingegen ist einer, der alles richtig macht (abgesehen von seinen scheußlichen Tattoos, oje, sind die scheußlich): Ein solala-Mann, ein Fels in der Brandung, der keine Versprechen, keine Zusagen macht – und die Frauen liegen ihm zu Füßen. Im wahrsten Sinn des Wortes in der Szene, als Marina nach einem Streit seine Füße küsst, während Neil mit in die Seite gestemmten Armen auf sie herab blickt, und die so ekelhaft auf weiblicher Schwäche beharrt, dass ich beinahe ausgeschalten hätte. Ben Affleck trägt während des ganzen Films den immergleichen Gesichtsausdruck vor sich her, er darf das, denn “starke Gefühle verunsichern ihn.” Außerdem sagt er vielleicht zehn Sätze. Das Wort “Liebe” kommt nicht darin vor.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Liebe ist toll und die Romantik Gott sei Dank (hoppla!) noch nicht am postmodernen Zynismus zugrunde gegangen. Was an diesem Film stört, sind nicht großen Gefühle, sondern deren absolute Eindimensionalität, nämlich Liebe als Einbahnstraße von der Frau zum Mann, und das super-reaktionäre Weltbild, das er vertritt, ein Weltbild, das gleichgeschlechtliche Liebe konsequent ausklammert und Bindungen in die Hände der Kirche legt. Ein Wunder, dass Neil und Marina überhaupt verhüten und das so fortschrittlich, mit einer Kupferspirale, was sagt man dazu!

Über weite Strecken wird der Film getragen von Frauenstimmen aus dem Off, die flüstern “hättest Du mich gebeten zu bleiben, ich wäre geblieben”, “Du hast mich erkannt”, “eins werden, zwei werden”, “du hast mich gerettet” und so weiter und sofort. Im Grunde genommen ist “To the Wonder” ein Frauenflüsterfilm. Sein Hauptaugenmerk liegt darauf, die weibliche Projektionsmaschine am Laufen zu halten, denn nichts anderes scheint in den Köpfen der beiden Frauen vor sich zu gehen. Je schweigsamer der Mann, desto mehr kann man in ihn hineinfantasieren. Sätze wie “ist sie ihm nicht hold, macht er sie sich hold” gehören übrigens verboten. “To the wonder” ist die Sublimierung der weiblichen Schwäche, die Dringlichkeit des Geheiratet-werden-wollens. Beinahe hätte ich mich wieder einlullen lassen von Terrence Malicks Bilderbetäubungen. Gerade rechtzeitig bin ich aufgewacht. Dass er jedes feministische Weltbild mit Füßen tritt, kann ich ihm nicht verzeihen.