Ganz großes Kino

Es gibt Filme, die man, nach seinen all-time-favourites gefragt, spontan mit stolzgeschwellter Brust aufzählt. Das variiert interessanterweise enorm, abhängig davon, in welcher Art von Gesellschaft man sich gerade befindet. Richtig anstrengend kann das werden, wenn man sich mit Studenten der Filmwissenschaft unterhält, da wird einem ganz schwindlig von all den Dogma-Titeln und Film Noirs und Martial Art und wenn man nicht die Fassbinder-DVD-Collection zuhause hat, kann man auch eigentlich gleich gehen. Blöd finden es dagegen manche Gesprächspartner, Avatar nicht im Kino gesehen zu haben, umso schöner, dass es eine zweite Chance gibt (wann und zu welchem Zweck kam ein Film jemals wieder ins Kino?). Blöd finde ich es dagegen, dass es einem anscheinend peinlich sein sollte, einen vordergründigen Nicht-Film wie Napoleon Dynamite gut zu finden, diese Perle des Indie-Kinos. Napoleon-Fans aller Länder, vereinigt euch! Ich wage zu behaupten, dass sich dessen Macher mindestens genau so viel dabei gedacht haben wie, sagen wir mal, der doofe James Cameron mit seinem Pseudo-Lehrstück vom bösen Menschen und vom guten Außerirdischen.

Das Frauenbild zum Beispiel. Außen vorlassen wollen wir mal Napoleons Grandma, denn die zählt irgendwie nicht, aber abgesehen davon sind die Mädchen entweder blond und großbrüstig, wie eben Cheerleaderinnen in US-amerikanischen Komödien so aussehen – tatsächlich gibt es da bei genauerem Hinsehen keinen Unterschied zwischen Ironie und Nicht-Ironie, wie ist das eigentlich wirklich? – oder sie sind wie Deb, schlecht angezogen (zugegeben manchmal gar nicht so weit entfernt von Stil in Berlin), mit einer Frisur, die man so nicht mal in der Grundschule getragen hätte und einer äußerst konsequent gelebten Nerd-Mentalität. Zu berücksichtigen sind auch die Chatbekanntschaften von Napoleons älterem Bruder, beschrieben wie folgt: “Sandfarbenes Haar, ganz hübsches Gesicht, aber sie hat mir noch nicht mal ein Ganzkörperfoto geschickt.”

Der Schlankheitswahn macht offensichtlich auch vor diesem Realitätsentwurf nicht halt, schön zu beobachten auch in der Szene, in der Napoleon – endlich – seine Herzdame Deb anspricht, mit dem unübertrefflichen Anmachspruch “Trinkst du fettarme Milch? Müsstest du gar nicht, du bist nämlich nicht dick” und um was für eine Art Realitätsentwurf handelt es sich überhaupt? Sprich: Wo soll das sein, wo könnte man das Setting verorten? Zweifelsohne in den USA, aber wann? Gegen einen zeitgenössischen Entwurf spricht vieles, neben der Kleidung, den Möbeln (nicht zu vergessen: dem Schulbus!) auch die Tatsache, dass das Internet ein fremdartiges, einigen wenigen Pionieren (Napoleons Bruder!) vorbehaltenen und auf einige wenige konkrete Angebote wie die Chatrooms beschränktes Medium zu sein scheint. Folgt man diesem Argumentationsstrang, stört aber die Aussage über eine Figur, sie sei “in den 80ern hängen geblieben”. Waren so vielleicht die 90er? Vielleicht, gut möglich, sehen wir hier auch einfach eine zeit- und raumlose Utopie.

Lobenswert ist neben der mich immer wieder staunen machenden Tatsache, dass der Film trotz dem vollständigen Verzicht auf jegliche Dramaturgie, jeden Spannungsbogen, Wendepunkt oder Entwicklung der Charaktere dennoch unglaublich unterhaltsam und aufschlussreich ist und, wie ich finde, durchaus poetisch und ästhetisch ansprechend. Man beachte nur allein den Vorspann, die zauberhafte Art, die Darsteller, den Titel etc. auf Essenstabletts, in Jahrbüchern und so weiter darzustellen oder, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, der ebenso stimmungsvolle wie unerträgliche Soundtrack, diese Fahrstuhl-Filmmusik, die den Gedanken daran, dass deren Komponist eine Existenz als ernstzunehmender Musiker führt, beinahe unmöglich macht…

Warum mich das so beschäftigt? Eigentlich deshalb, weil ich erstens stolze Besitzerin einer Napoleon-Dynamite-Schlafanzughose bin und sehnsüchtig auf die nächste Bad-Taste-Party warte, damit sie endlich, endlich einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden kann und weil zweitens meine bisherige Suche nach weiteren Merchandising-Artikeln erfolglos blieb und weil ich drittens bald Geburtstag habe und, als Wink mit dem Zaunpfahl, wenn man so will, allen, denen hierfür noch die passende Geschenkidee fehlt, ein wenig unter die Arme greifen möchte.