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Ein Fuchs muss tun was ein Fuchs tun muss / Luxus und Ruhm und rulen bis zum Schluss

Überraschenderweise gelang es mir durch die ganze prekäre Studienzeit hindurch, meinen entbehrungsreichen Alltag mit einer Prise Luxus zu durchsetzen, Luxus, den ich mir eigentlich nicht leisten kann. Das funktioniert, der hohen Berliner Vintage-Läden-Dichte sei Dank, durch gezieltes Shoppen und vereinzelte absurde Investitionen in Zeiten des temporären Wohlstands. Mein persönlicher Gipfel der Dekadenz ist eine Jacke aus Fuchspelz. Es muss die rührende Geschichte seiner Provenienz erzählt werden: Als meine Mama etwa so alt war wie ich, erhielt sie von ihrem Vater durch den Verkauf eines Stück Lands eine nicht geringe Summe Geld, welche sie vollständig in eine maßgeschneiderte Pelzjacke und passende Handschuhe investierte. Nach rund dreißigjährigem Winterschlaf ging das gute Stück in meinen Besitz über.

Bisher hatte ich aus zwei Gründen Hemmungen, den Pelz zu tragen: Ein latentes Ekelgefühl einerseits und andererseits die gesellschaftliche Ablehnung, die einem als Pelzträger entgegenschlägt. Es liegt nur am verspäteten Wintereinbruch (als ich schon schwärmte: Der Frühling wird bald alles / noch reichlicher beleben), dass ich einen neuen Anlauf startete, den Fuchs aus der Versenkung zu holen. Versenkung heißt, aus einem Kissenbezug in einer Reisetasche in der Rumpelkammer – und schon diese sorgsame Verpackung ist ein Indiz für meine Berührungsängste. All die Jahre sind nicht spurlos am Fuchs vorübergegangen, er riecht ein bisschen muffig und das Fell hat vermutlich anno 1970 auch mal mehr geglänzt. Schnell verdränge ich das Wort “Pelzkäfer” aus meinem Kopf (bloß nicht googlen!). Das erste Mal Tragen ist anstrengend, weil ich direkten Hautkontakt vermeide und versuche, das Gesicht vom Pelz möglichst weit weg zu halten. Ja, es ist grenzwertig.

Spätestens jetzt stellt sich die Gretchenfrage: Darf ich einen Fuchs tragen, obwohl ich Füchse liebe? Denn, ja: Ich liebe Füchse. Es handelt sich um eine minimal peinliche Vorliebe mit Tendenz zum Hamstern, wie ältere Frauen und ihre Rosina Wachtmeister-Katzen. Immer bin ich auf der Suche nach foxcontent, darauf bedacht, meine Sammlung (Ohrringe, Pullis, Handyhülle) zu erweitern. In meiner iPhoto-Bibliothek lagert ein eigener Fuchsordner. Ist es zynisch, sich am geliebten Tierchen zu wärmen?

Die Liebe zu Füchsen macht einen Teil des Gewissenskonflikts aus. Der andere ist die gesellschaftliche Stigmatisierung des Pelzträgers. Ohne auf Allgemeingültigkeit zu bestehen behaupte ich, dass der Anblick eines toten Tiers am Körper eines Mitmenschen bei den meisten eher ein “Igitt” als ein “Oho” provoziert. Während in anderen Kulturen Pelz als Statussymbol gilt (denken wir an die zerbrechlichen St.Petersburger Eisprinzessinnen!), wachsen Kinder hierzulande im Glauben auf, tote Tiere gehörten auf den Teller, nicht an den Körper. Relikt meiner eigenen pelzfreien Kindheit ist jene Peta-Werbung, in der ein pelztragendes Model aus der Kloschüssel trinkt. Zusammen mit ein paar angespielten Pelzfarm-Videos auf Youtube ergibt das eine Grundskepsis auch und gerade dem Tier in meinem Schrank gegenüber.

Au der Magen knurrt wie Sau / Ich hau ab aus meinem Bau / Verschließ’ die Tür ziehe durch’s Revier / Markier hier und da mal dass ich da war

Sei’s drum: Raus aus dem Bau, rein in die Stadt. Pelz tragen in Berlin sorgt für den kleinen Kick im Alltag. Im Geiste unterteilt man die Stadt in Pelz-no-go-areas (Mitte und der Westen gehen, denke ich, in Ordnung, Neukölln eher nicht). Es ist nicht ganz leicht, die eigene Paranoia von der Wahrheit zu trennen, aber anders als in Paris oder Wien oder München muss es in Berlin heißen: Die Leute kucken schon. Das liegt zum einen daran, dass Luxus hier einen schweren Stand hat. Entwendete Lieblingsstücke – ich kann ein Lied davon singen. In einer Stadt, wo einem Kindergangs die Uhren vom Handgelenk klauen, setzt man besser auf den shabby chic. Mindestens genauso gefährlich wie die Kindergangs sind die militanten Tierschützer, von denen es gerade in meinem Viertel nicht wenige gibt.

Gestiken von Gerngesehenen aber jeder Fuchs weiß / Dass ähnliche Garderobe heute leider nicht mehr Schutz heißt

Eine Tarnung ist so ein Fuchspelz nicht. Ein schneller Vergleich im pelztragenden Umfeld zeigt, dass meiner der mit Abstand auffälligste ist und vor allem der, dessen Echtheit ihm sozusagen ins Gesicht geschrieben steht. Nach langem Zögern und noch längerem Auslüften starte ich meinen Feldversuch. Schon der Weg zur U-Bahn ist ein Gang auf rohen Eiern, das Blitzeis macht es nicht einfacher. Normalerweise schaue ich Vorbeikommenden in die Augen, suche den Blickkontakt, heute halte ich den Blick gesenkt. Auf meinem Weg durch die Stadt traue ich mich kaum, Musik zu hören, aus Angst vor rückwärtigen Angriffen. Auch rechne ich damit, die Treppe hinunter geschubst oder, der Klassiker, Opfer eines Spraydosenanschlags zu werden. Besonders feindselig schauen Menschen in Begleitung lebender Tiere, also Hundehalter – ganz so, als ob mein Pelz die Vorwegnahme des Ablebens ihres Begleiters bedeutete. Für einen Pelz gilt dasselbe wie für einen Terrier: Ein ideales Flirtwerkzeug. Mit ihm kommen Singles leichter ins Gespräch, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen.

Während auf Krawall gebürstete Autonome die Probleme eher mit der Spraydose als mit Worten lösen, gibt es ja auch Mitmenschen, die an einer sachlichen Diskussion interessiert sind. Für die lege ich mir vorab ein paar Rechtfertigungen zurecht, für den Fall, dass ich mich rechtfertigen muss. Sehr vernünftig erscheint mir die Feststellung, dass ich den Pelz nicht selbst gekauft habe und das Tier vom im Schrank hängen auch nicht mehr lebendig wird. In die Bredouille bringt mich hingegen mein temporärer Verzicht auf Fleisch, der sich mit dem Fuchs auf meinem Körper zugegeben nur mäßig verträgt. Außer einer höflichen Nachfrage (“Ist der echt?”) passiert nichts in dieser Richtung. Keine Treppenschubserei, keine Sprayattacke, nicht einmal eine verbale Hasstirade.

Weil die Kälte nicht aufhört, trage ich den Pelz weiterhin. Das Unwohlsein des ersten Tages verschwindet. Bald erfreue ich mich an der Kuscheligkeit meines Fuchses und am mit ihm verbundenen Gefühl des dramatischen Auftritts. Je länger ich darüber nachdenke, desto okayer finde ich es. Klar, wäre der vollständige Verzicht auf das Töten von Tieren ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ohne das Pelztragen vollständig legitimieren zu wollen: Was ist mit Leder? Ich hege ehrliche Bewunderung für Menschen, die komplett auf tierische Produkte verzichten, aber wenn jemand zwanzig Paar Lederstiefeletten im Schrank stehen hat und dann gegen eine Kaninchenfellmütze wettert, finde ich das problematisch. Ebenso problematisch finde ich die moralische Überlegenheit, in der sich manche Veganer wähnen. Ich respektiere diese Entscheidung (und ja, siehe oben, bewundere sie), aber genauso erwarte ich Respekt für die Imperfektion meiner Identität, dafür, dass ich eben noch nicht zum perfekten Menschen geworden bin, sondern zu einem, der gerade versucht, auf Fleisch zu verzichten, aber Büffelmozzarella liebt und den abgelegten Pelz seiner Mama trägt. Ich muss aber auch gestehen, dass sich sowohl mein Vegetarismus als auch meine Pelzliebe beizeiten in ihr Gegenteil verkehren können, denn ich halte es mit Walter Benjamin: “Immer radikal, niemals konsequent.” Mal sehen, wie kalt der nächste Winter wird.