#forevatwentyseven

Das orange Ampellicht blinkte hektisch. Woher bloß kam die Fixierung auf diese Zahl? Sicher nicht, das wurde sie in Anfällen von Selbstschutz nicht müde zu betonen, von Kurt Cobain oder Amy Winehouse. Ganz so vermessen war sie dann doch nicht. Eher war es so: Vor vielen Jahren vertröstete sie einer, auf dessen Urteil sie inzwischen keinen Wert mehr legte, auf ihr achtundzwanzigstes Lebensjahr.

Jetzt also knapp vor der Zielgeraden. Gleich dahinter, sie sah es schon, finge das wirkliche Leben an. Bitte ziehen Sie durch! So wie der Kürbis-Cheesecake mindestens einen, die Linzer Torte besser mehrere Tage durchziehen sollte. Der Chardonnay war fantastisch, brauchte aber Luft zum Atmen, weswegen sie ihn doch schon jetzt öffnete. Ihr fiel D. ein, die noch mit knapp dreißig Jahren am Vorabend ihres Geburtstags vor Aufregung Bauschmerzen bekam. Der größte Witz war natürlich, vor Mitternacht ins Bett zu gehen.

Das Ding mit der narzisstischen Kränkung schien überwunden. Kurzfristige Absagen ihrer sorgsam inszenierten Feier (sie war ja Theaterwissenschaftlerin und Ästhetin) wären zu verkraften. Textnachrichten der ersten kleinen Liebe voller knutschender Emoticons anstelle der bisherigen Anrufe? Kein  wert. In mancherlei Hinsicht lernte man aus.

Das Lied, das sie den ganzen Tag über verfolgt hatte, beim Backen, Flecken behandeln, Prokrastinieren (eine kurze Geschichte ohne Aussicht auf Veröffentlichung, zwei redigierte Kolumnen, mehrere halbausgegorene Themen, ein Text ohne Fotos und mit Freigabe-Problemen) hieß Stuttgart. Sie sprach kein Spanisch, bildete sich aber ein, in jedem spanischen Lied mindestens zwei Mal den Ausdruck mi corazón zu hören. Bitte korrigieren Sie. 

Schräg gegenüber ging ein Fenster zur Straße hin auf, schon wieder der – soweit das aus dieser Distanz zu beurteilen war – schöne Raucher. Wäre die Wirklichkeit so einfach zu bauen wie die Geschichten in ihrem Kopf, das Konzept von Spaß wäre ein anderes. Andererseits konnte man sich das Ausdenken oft sparen, weil das Leben die besten… Mein Gott, dachte sie still bei sich, obwohl sie es auch hätte schreien können, es war ja keiner da, jetzt werde auch ich so blumig, wie M. vorgibt zu sein. Blumig wie der Burgenländer, Jahrgang 2013, neben ihr im auf dem Fensterbrett (M. hätte gesagt: Riecht nach Kinderhänden, die feuchten Sand in Förmchen geschaufelt haben, schmeckt wie die schattige Stelle auf dem Rasen hinter dem Elternhaus, auf die niemals die Sonne fällt). Das Fensterbrett, der Balkon des Kulturprekariats. Sie sah zur blinkenden Ampel hin und zählte bis siebenundzwanzig. Dann ging sie schlafen.