Die Götter stinken

Wenn von Bali die Rede ist, dann immer als Paradies auf Erden. Tropischer Regenwald, friedfertige Bewohner, Bananen knabbernde Affen, niedliche Streuner. Dass die Affen Smartphones klauen und die Streuner Tollwut haben? Geschenkt. Dass die friedfertigen Bewohner Handtaschenabschneider sind? Kollateralschaden. Vor allem aber spricht keiner von der Dreckschicht, die sich Verkehrsteilnehmer Abend für Abend von der Haut kratzen müssen. Man muss sich Balis Götter als stinkende vorstellen.

Wer es sich mit ihnen verscherzt, hat Pech gehabt. So oder so tragen Ausländer an einem Unfalls die alleinige Schuld, denn ohne ihre Anwesenheit hätte der Unfall ja nicht statt gefunden. So bliebt einem als passiver Verkehrsteilnehmer – passiv meint auf dem Rücksitz eines Motorbikes sitzend – nichts übrig, als Stoßgebete zum Himmel zu senden und dem Können seines Vordermanns zu vertrauen. Ich lege mein Leben in Deine Hände –

Kaum etwas ist einfacher, als auf Bali ein Motorbike zu leihen. Ein Merkmal von Ländern der zweiten Welt ist ja der stetige Versuch, Bürokratie zu simulieren. Dabei steht Übereifer vor Korrektheit, was bedeutet, dass ein Haufen Papierkram im Prinzip wertlos und das Ziel schneller erreicht ist als gedacht. Wahrscheinlich braucht es nicht mal einen Führerschein, schon gar keine international driving liscence, zur Not helfen ein paar Scheinchen.

Ist der Motorroller einmal ausgeliehen, steht dem Fahrvergnügen höchstens noch der leere Tank im Wege. Tankstellen sind wie überhaupt fast alles auf Bali der Inbegriff des Provisoriums, Holzverschläge, die neben Benzin nicht selten auch Selbstgekochtes feil bieten, Hygieneartikel und auf Nachfrage vielleicht sogar Handfeuerwaffen, Psychopharmaka (Benzodiazepine sind der Hit), ich weiß es nicht, ich habe nicht nachgefragt. Statt aus Zapfsäulen fließt der Sprit aus Absolut-Vodka-Flaschen.

Ein Roller für eine, maximal zwei Personen? So eine begrenzte Vorstellungskraft können nur die bleichen Deutschen haben. Mädchencliquen, eine Mutter samt ihren Wocheneinkäufen, ein Vater mit seinen beiden Kindern oder die ganze Kleinfamilie – was nicht passt, wird passend gemacht, so abgedroschen, so zutreffend. Logischerweise lassen sich auf diese Art auch Haustiere, Sperrgut, Fahrräder und Tierkadaver transportieren. Offensichtlich sind Motorroller die einzige Transportmöglichkeit. Autos oder Lastwagen sieht man selten, Fahrräder sind das schwächste Glied im Straßenverkehr, Fußgänger ein schlechter Scherz.

Schon der Hitze wegen muss schnell gefahren werden. Ein Tempo-40-Schild regt erst recht zum Gas geben an. „Vorsicht vor“ heißt hati hati, kein Wunder dass das eher zum Schmunzeln als zum Acht Geben anregt. Hupen hat als Warnsignal ausgedient oder nie existiert, so inflationär eingesetzt wird es zum entleerten Signifikanten. Nicht einmal die trägen Hunde, die auf dem Mittelstreifen Siesta halten, lassen sich davon beeindrucken. Ebenso wenig die querfeldein der Dinge harrenden Kühe. Wer  diese von A nach B bewegen will, packt sie am Nasenring.

Als Beifahrer hat man zwar keine Gewissheit, lebend am Ziel anzukommen, dafür aber viel Zeit, das Leben entlang der Straße zu beobachten. Ungewohnt  für den westlichen Besucher ist die sparsame Werbung. Überraschend selten wird das Auge des Beifahrers wie hierzulande gereizüberflutet. Weder für kulturelle Produkte im weitesten Sinn (eine Ausnahme sind Kinofilme mit Kampfsportappeal), noch für Nassshampoos, Trockenshampoos, Müsliriegel, Alkoholika (hati hati Alkoholeinfluss!). Entweder, die Menschen kaufen sowieso, oder ein Volk hat erkannt, dass Werbung ein Straßenbild nicht schöner macht, im Gegenteil. Was hingegen geht und zwar gut, sind großflächige Plakate, die für die lokale Motorradgang „Laskar Bali“ werben. Diese coolen Hunde scheinen mit ihren Lederjacken auf die Welt gekommen zu sein. Schriftzüge – Peace, whenever, whereever – verschaffen ihrem Träger Individualität. Mit dem Englisch nimmt man es orthografisch überraschend korrekt.

Als Beifahrer hat man die regelrechte Pflicht, den Fahrer auf lohnenswerte Zwischenstopps aufmerksam zu machen. Macadamia-Cheesecake bei Beetelnut, Sonnenuntergang – auf indonesisch mata hari – am Echo Beach.

Zu behaupten, dass die Straßen Route-Number-1-mäßig immer entlang des Meeres führen, wäre gelogen. Stattdessen geht es  vorbei an Reisfeldern, an bescheidenem Wohlstand und bescheidener Gastronomie. Garküchen als Inbegriff der asiatischen Essenskultur haben dem, was heute hierzulande als Street Food schwer in Mode ist, den Weg geebnet.  Auf Bali meint Street Food das tatsächliche Vorankommen und auch einfach mal zur-Nachrungsaufnahme-Stehen-bleiben auf der Straße, wenn man Glück hat: auf dem Standstreifen.

Natürlich gibt es auch die Prunkvillen, dankenswerterweise verhältnismäßig selten einen vermeintlich europäischen Stil imitierend. Wenig griechische Säulen, wenig südfranzösische Veranden, stattdessen etwas, das der unkundige Europäer für balinesische Baukunst hält.

Sind die Götter einmal entzürnt, ist auf die Polizei als Freund und Helfer nicht zu bauen. Präsenz zeigt diese nur, wenn es darum geht, Ausländern Fantasiesummen für Fantasiedelikte abzuknöpfen. Dann schälen sie sich des Nachts aus dem Dunkel des Seitenstreifens, diese stiefeltragenden, Nelkenzigaretten rauchenden Gesetzeshüter. Zufällig belaufen sich diese Fantasiesummen immer genau auf die im Portemonnaie befindliche Summe. Davor, das persönlich zu überprüfen, scheuen sie nicht zrück. Irgendwann schlussfolgert der ausländische Motorbikebeifahrer, dass es am Besten ist, die Tagessumme vor Anbruch der Dunkelheit in Beetelnut-Cheesecake zu investieren. Wer kein Geld hat, dem kann keines genommen werden.

Leider gilt das nicht für iPhones und Kosmetikbeutel. Bei hohem Tempo rechterhand die Handtasche abgeschnitten zu bekommen, lässt einen an der Existenz irgendeiner Gottheit zweifeln. Unnötig zu erwähnen, dass die Polizei in so einem Fall nicht auffindbar ist oder erst nach Stunden, in einem weggeduckten Häuschen fern der Provinzhauptstadt. Dort sitzen sieben ernsthafte, Nelkenzigaretten rauchende Männer ehrfürchtig um ein Fernsehgerät und folgen einer Art „Bali sucht den Superstar“. Bei Eintreten der Diebstahlopfer verlassen sie geschlossen den Raum.

Offenbar vertrauen die Balinesen in gesundheitlicher Hinsicht auf den Beistand ihrer Götter, einen Mundschutz trägt kaum einer der Straßenverkehrsteilnehmer. Bedarf sehe ich da durchaus. Kurz weht einmal eine Brise frisch gewaschener Wäsche aus einer am Straßenrand gelegenen laundry. Ansonsten stinkt es, es stinkt selbst auf dem  sich sanft an der Reisterrasse entlang schlängelnden Sträßchen so, wie man sich olfaktorisch einen achtspurigen highway in Kalkutta vorstellt. Die Fingernägel werden ein bisschen seltener gekürzt, damit man den Dreck auf der Haut besser abkratzen kann.