Die allzumenschliche Komödie

The Boss of it all. Ein Film von Lars van Trier

 

Prolog: „Manchmal ist das Leben wie ein Dogma Film: Man versteht nicht alles. Manchmal ist das wichtig.“

Erster Akt: Schauplatz ist ein kleines IT-Unternehmen, das Personal stellen „die Sechs Alten“ (ein so schrulliger Eigenname, dass man sich gleich erinnert fühlt an die Drei Hexen in Macbeth oder an ein mystisches Grüppchen, das J. R. R. Tolkien Universum bevölkert) und Ravn deren Chef. Dieser Umstand bleibt dem Zuschauer zunächst ebenso verborgen wie den anderen Mitarbeitern. Ravn kommt daher als eine Art Märchenonkel, kumpelhaft und immer gut gelaunt und seine liebste Geschichte ist die des so genannten Oberbosses, der im fernen Amerika weilt und von da aus schaltet und waltet wie es ihm gefällt. Nun braucht es diesen plötzlich in Person, um einen Vertrag zur Übernahme der Firma durch einen isländischen Investor zu unterzeichnen. Ein Schauspieler muss her! Kristoffer verkörpert den Spielmann aus Leidenschaft, dem es zwar an Aufträgen mangelt, nicht aber an unbändiger Spielfreude. Und an wunderbarer Kauzigkeit: Als Hommage an den großen Gambini (welcher der Rezensentin ebenso unbekannt ist wie den Figuren im Film), Schornsteinfeger und Protagonist des Stücks „Stadt ohne Schornsteine,“ trägt er stets einen Streifen Ruß auf der Stirn. Dementsprechend ernst ist es ihm mit der Rolle des Big Boss, die ihm Ravn anträgt. Für den Rußfleck hat der ebenso wenig Verständnis wie für Kristoffers wirkmächtigen „entrückten, sorgenvollen Blick,” es geht ja schließlich nur um eine kurze Unterschrift. Weil Lars van Trier aber keinen Ein-Akter liefert, sondern eine klassische Komödie, endet die Konferenz mit dem Isländer damit, dass dieser hysterisch tobend aus dem Raum stürmt, gefolgt von seinem Übersetzer. Wir lernen, dass das Verhältnis zwischen Dänen und Isländern seit jeher ein eher gespanntes ist und amüsieren uns köstlich über den Schlagabtausch zwischen den beiden Landmännern, bei dem nicht zuletzt die Jahrtausende alte Sage der „Edda“ dafür herhalten muss, zu beweisen, dass „Verhandlungen mit Strohmännern so gut wie keine sind.“

Zwischenspiel: Lars van Trier steht im Rampenlicht der Weltbühne wie kaum ein zweiter Regisseur dieser Tage. Nach diversen eher kleineren Produktionen wie Idioten, Dogville und Manderlay gelang dem dänischen Regieberserker mit Antichrist 2009 der wohlverdiente Durchbruch. In diesen Tagen wird die Welt und das Kinopublikum von einem apokalyptischen Planeten heimgesucht – und die Wucht, mit der dieser auf die Erde trifft, ist analog zu dem Gefühl, dass einen am Ende des Films überkommt. Melancholia strapaziert den Betrachter auf eine Art und Weise wie kein Katastrophenfilm vor ihm; Independant Day wirkt dagegen wie ein Picknick im Park, das von Schönwetterwolken überschattet wird. The Boss of it all aus dem Jahr 2006 gilt als Triers erste und bislang einzige Komödie. Um auch in diesem Genre sein Genie zu beweisen, gibt sich der Regisseur nicht mit einer Satire auf den Büroalltag a là Stromberg zufrieden: Er reflektiert vielmehr filmisch die Parameter der Komödie. Weil er’s kann.

Zweiter Akt: Unfreiwillig muss das Spiel also fortgesetzt werden. Kristoffer alias Svend wird in den empfindlichen Mikrokosmos des Kleinbetriebes eingeführt und muss schnell feststellen, dass ihm Ravn nicht nur wichtige Informationen zu seiner Person vorenthalten hat, sondern ihn zu einer Art egozentrischem Über-Ich stilisiert hat. Der Boss aus Übersee ist dafür verantwortlich, dass der Betriebsausflug gestrichen, dem Immigranten der Dänischkurs verweigert wurde (mit der Begründung, er würde „sonst nur noch quatschen“) und der Ehemann einer Mitarbeiterin gefeuert wurde, woraufhin sich dieser mit einem Druckerkabel erhängte, was zur Folge hat, dass seine Witwe bei jedem Druckgeräusch zu hyperventilieren beginnt und seither den Beinamen „Arme Mette“ trägt. Zu allem Überfluss hat Svend mehreren Mitarbeiterinnen zweideutige Emails zukommen lassen, eine von ihnen konfrontiert den völlig ahnungslosen Kristoffer gar mit seinem virtuellen Heiratsantrag.

Ein Schauspieler, der seine Rolle nicht kennt, agiert auf verlorenem Posten, also bittet Kristoffer um ein Treffen an einem „neutralen Ort“. Diesem werden weitere folgen, wobei die Orte von Mal zu Mal absurder werden: Eine Wurstbude, eine Gärtnerei, ein Kinderkarussell, das Elefantengehege im Zoo – bis die Figuren im verdunkelten Kinosaal stellvertretend für die ganze Geschichte wieder zu sich selbst finden, einer von vielen kleinen Tricks, mit denen der Zauberer Trier mit dem Konstrukt „Fiktion“ jongliert. Bei jedem Treffen der beiden Protagonisten wird die Figur des Svend schärfer ausgeleuchtet, was nicht bedeutet, dass nicht täglich neue Überraschungen auf Krsitoffer warten wie etwa der Vorwurf der sexuellen Belästigung der Personalbeauftragten, die sie sich so gar nicht erklären kann, weil ihr Oberboss doch schwul sei.

Dritter Akt: Um das Tempo der Erzählung zu halten, wird an dieser Stelle eine neue Figur eingeführt:Kisser, Kristoffers Ex-Frau, die als Anwältin den isländischen Investor vertritt. Durch ihre Insider-Informationen bekommt das Bild des barmherzigen Ravn Risse: Dass bei dem Verkauf der Firma keiner der Mitarbeiter übernommen wird, hat er so nicht gesagt. Dass er vielmehr ein rücksichtsloses Schwein sei, darauf besteht Kisser, die fesche Juristin mit ihren gefährlich hohen Absätzen.

Zwischenspiel: Wie war das noch mit der Dogma-Metapher? Entfernt sich Lars van Trier mit seinen neuesten Arbeiten zusehends von den Grundsätzen der Dogma Bewegung, sind die Referenzen an das produktionsästhetische Manifest in The Boss of it all nicht zu übersehen. Wobei das Handkameragefrickel permanent unterbrochen wird von abstrus-kunstfertigen Schnitten (entstanden per Zufallsprinzip) und veränderten Lichteinstellungen. Das Spiel mit den Blicken des Zuschauers folgt konsequent jenem mit den doppelten Böden und wechselhaften Identitäten.

Vierter Akt: Beim Meeting schlägt die Stunde der Wahrheit: Ravn stellt den Mitarbeitern deren Kündigung in Aussicht. Dabei ist die geplante Enthüllung nur eine halbe und die Mitarbeiter noch immer die Narren, denn die Entscheidung habe schließlich nicht er, Ravn, sondern der Oberboss getroffen. Ganz klassisch arbeitet Trier mit dem Retardierenden Moment, dem kurzen Innehalten der Handlung, dem Punkt, an dem die Stimmung zu kippen droht. Kristoffer, vertraglich an sein Schweigen gebunden, sind die Hände gebunden. Er weigert sich noch immer, den Vertrag mit dem Isländer zu unterschreiben und sucht nach einem Weg, Ravns Spiel ein Ende zu setzen. Kristoffer alias Svend bittet um ein neuerliches Treffen an einem “neutralen Ort” (diesmal, wie gesagt, vor dem Elefantengehege, was zu der schönen Metapher des Kollegengedächtnisses überleitet, das genauso beschaffen sei wie das der Elefanten: Die Mitarbeiter vergessen nichts!). Ravn verspricht, sich seinen Kollegen endlich zu offenbaren.

Fünfter Akt: Showdown in der Betriebskantine: Bei Würstchen und Kaffee trumpft Kristoffer mit der Nachricht auf, er sei gar nicht derjenige, der „die Fäden in der Hand halte“, vielmehr gebe es einen “Oberboss vom Oberboss”, eine beinahe göttliche oberste Instanz, die für all die bösen Streiche verantwortlich zeichne. Noch bevor er Prügel von seinem cholerischen Kollegen bezieht (so bereits mehrfach geschehen), lädt er die überrumpelte Runde zum Betriebsausflug ein. Schöne letzte Stunden im Team können aber nicht verhindern, dass es schließlich zum erneuten Treffen mit dem rabiaten Isländer kommt. Kristoffer soll jetzt “verdammt noch mal” endlich unterschreiben, zögert, willigt ein, unter der Bedingung, eine letzte, sehr pathetische Rede zu erheben.  Auf den Zusammenhalt ergo das warme Betriebsklima und insbesondere auf Ravn, woraufhin dieser vor Rührung zu weinen beginnt und sich als der wahre Boss zu erkennen gibt. Für den Isländer sind Ravns Tränen gewissermaßen die Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen: In einem furchtbaren Wutanfall bezeichnet er Kristoffer Auftritt, der sich doch eben erst gegen die Unterzeichnung des Vertrages ganz im Sinne seiner Figur entschieden hat, als so „absurd wie Gambini“. Plötzlich sieht Kristoffer der schroffen Isländer als Bruder im Geiste – und unterzeichnet. Der Vorhang fällt, die Firma schließt und Kristoffer bekommt seinen verdienten Applaus.

Epilog: Die Stimme aus dem Off, die den Zuschauer zu Beginn auf eine „völlig harmlose Komödie“ einstimmt, die „keinen Gedanken wert sei“, verabschiedet sich mit der Aussicht, dass man bald „getrost das Kino verlassen und alles vergessen könne, was man gesehen habe.“ Das erinnert entfernt an Aristoteles Poetik mit ihrer Botschaft der tröstlichen Auflösung am Ende eines Dramas. Da dies aber Lars van Triers einzige Komödie ist und nicht sein so und so vieltes Drama muss es heißen: Trost ja, vergessen nein! Denn spätestens jetzt weiß man als Zuschauer dieser allzu menschlichen Komödie gewiss, dass wir alle nur Schauspieler sind auf der Bühne des Lebens – oder Puppen an Fäden in den Händen des Boss of it all.