Der Konjunktiv ist der Dramatik ihr Tod

Ich sehe nichts, aber es sieht nicht gut aus: fünf Schauspieler in einer Mischung aus Cockpit, Schaltzentrale, Callcenterbüro und Telegrafenanstalt (heißt bestimmt anders, aber nicht schlinm, gibts ja auch nicht mehr). Kurze Sätze künden vom Beginn der Katastrophe. Menschen strömen aus den Shoppingmalls, hin zu ihren Mittelklassewagen und fahren los, die Autobahn runter, der pittoreske Sonnenuntergang dient als Kulisse für den ersten Flugzeugabsturz. Zwischen zwei Sätzen machen sich die Darsteller, die im Laufe des Stücks vermittels Videoprojektion-Schriftzügen immer neue Bezeichnungen erhalten, so etwa die Zuseher, der Kassandrafan, die Erwachsenen, am Kaffeeautomat zu schaffen, legen eine Zigarettenpause ein, schlafen miteinander und streiten miteinander.
Unter ihnen steht eine Frau, die durch nichts als ihre Präsenz des Gewöhnlichen besticht. Soll heißen, sie trägt, als Kontrast zu den Raumanzügen, den 50er-Jahre-Outfits und der adretten Bürogarderobe der restlichen Schauspieler ein Outfit, das nach Lag-im-Schrank-ganz-oben aussieht und sie wird das ganze Stück über nicht sprechen, nur husten und sich die Nase putzen und mal mehr, mal weniger Anteil nehmen an den absurden Erzählungen, die ihr als Sprachlawinen entgegenrollen. Ihre Rolle ist eine Schnittstelle zwischen dramatischem Text, denn von Handlung kann hier keine Rede sein, und den Zuschauern. In ihrer Verlorenheit, in ihrem ziellosen Umherirren erinnert sie an die Mutter in Hanekes “Wolfzeit.”

Der Theatereffekt? Furcht nein, Mitleid ja, denn so genervt wie sie zeitweise dreinschaut, so sehe wahrscheinlich auch ich gerade aus. Das liegt zum Einen an der Ratlosigkeit, am schmerzlich vermissten Sinnzusammenhang, was ja durchaus auch für ein Stück sprechen kann, zum Anderen an den bereits erwähnten ausufernd-uferlosen Monologen, von denen manche in ihrer Stumpfsinnigkeit und Belanglosigkeit neue Maßstäbe setzen; zum größten Teil allerdings an der Liebe der Autorin zum Konjunktiv. Mit einer eigentlich – wenn man hier nicht selbst Leidtragender wäre – bewundernswerten Konsequenz verzichtet Kathrin Röggla bis auf wenige Ausnahmen auf den Einsatz des Indikativs. Hinzu kommt, dass die Darstellenden meistens in der dritten Person von sich sprechen, was in Kombination dazu führt, dass man nicht nur gelegentlich abschweift, sondern allermeistens trotz guten Vorsatzes nicht hinterherkommt. Das führt ferner dazu, dass ich nach etwa der Hälfte des Stücks zum (ersten Mal?) den Wunsch verspüre, ein Ei in Richtung Bühne zu werfen, das heißt, hätte sie ein Ei bei sich, sie würfe es jetzt in Richtung Bühne.

Man könnte nun zum einfachen Ergebnis kommen und das Stück als gutes Beispiel nennen, wie zeitgenössische Dramatik nicht funktioniert. Damit allerdings würde man der Autorin dann doch irgendwie Unrecht tun, denn der Grundgedanke, der Entwurf eines Post-was-auch-immer (am Ende vielleicht des Post-dramatischen Theaters selbst?) und der Darstellung des verzweifelten Versuchs der Überlebenden, ein Stück Normalität aufrecht zu erhalten, ist durchaus reizvoll, und wenn es dann doch einmal gelingt, die Deklinationsexzesse auszublenden und zuzuhören, dann gibt es sogar etwas zu lachen. Die Erwachsenen etwa, eine Episode, die eine Art Elternabend zum Thema hat, überzeugt mit absurden Sprachspielen, darstellerischer Situationskomik und einem Monolog über Sinn und Unsinn der frühkindlichen Förderung.

Überhaupt rettet die gelungene Inszenierung einiges. Nicht auszudenken, wie man die eineinhalb Stunden sonst bewältigen hätte können, angenommen, ein eher mittelguter Regisseur hätte sich des Themas angenommen. Auch die Schauspieler tragen den Abend, sozusagen, zu seinem erlösenden Ende.

Das Ende: Wieder haben sich die Schauspieler im Cockpit/Schaltzentrale etc. zusammengefunden. Ich schrecke aus meinem Halbschlaf, der lediglich durch die Unbequemlichkeit der Schauspielhaus-Stühle gestört wurde, als, ja als plötzlich ganz einfach strukturierte Sätze zu hören sind, 1. Person Singular, Indikativ, Präsens. Was ist passiert? Also, mir komme das komisch vor. Offensichtlich möchte uns die Autorin jetzt eine besonders wichtige Mitteilung machen. Meine Aufmerksamkeit ist ihr sicher. Umso dringlicher stellt sich die Frage, warum Röggla nicht einfach die Finger lassen kann von grammatikalischen Sonderfällen. Damit kann man Mittelstufenschüler in Latein quälen, aber doch bitte kein Theaterpublikum.

Also, liebe Kathrin Röggla: ich schaue mir gerne wieder was von dir an. Kannst du mir dann versprechen, es mir als Zuschauer nicht so schwer zu machen? Finde deine Ideen nämlich echt gut. Dann wird beim nächsten Mal vielleicht aus dem worst case ein better case oder vielleicht sogar ein best?

Deine Eva