Das Ziel ist der Weg

Abhängen auf dem verstörend hässlichen, steinharten Sitz der zweiten Klasse im Bummelzug. Musikhören scheint das Äußerste zu sein, der Superlativ der möglichen Aktion, die höchste Stufe der Umtriebigkeit. Rhabarberschorle gegen den aufkommenden Kater, der möglicherweise auch der Grund dafür ist, dass der Typ hinter mir (Tscheche? Traveller?) bald davon ablässt, ein Gespräch anfangen zu wollen, der Kater und mein damit verbundenes unsoziales Auftreten. Bahnfahren als Zumutung als solche. Da braucht es nicht erst das Klischee des eratischen Anglizismus, es reicht, mehrere Minuten auf den Hinterkopf des Vordermannes zu starren oder auf die Zugtoilette zu gehen: Warum riecht ausnahmslos jede Zugtoilette, bundesweit, nach Rauch? Zeit und Gelegenheit, die Untersuchung auf Österreich auszudehnen.

Ich lese ganze Nachrichtenverläufe – ja, sowas kann mein Handy – und vieles muss ich mehrmals lesen und so vergeht eine ganze Weile, zusammengekauert im verstörend hässlichen, steinharten Sitz.
Whiskey, Absinth und Rotwein, das sind fraglos zwei alkoholische Getränke zuviel. Rückwärts fahren sowieso. Man hätte – nur dieses eine Mal – doch den Rat der Dame am DB-Schalter beherzigen sollen, wie sie so verschmitzt hinter ihren Brillengläsern vorschaute und einem die Sitzplatzreservierung empfahl, freie Platzwahl für nur 2,50 €.

Die folgenden zwei Stunden verbringe ich abwechselnd mit Lesen, Seufzen, Telefonieren, Nacken stützen. In Dresden treffe ich die Entscheidung mich umzusetzen, in Fahrtrichtung, die sich als wirklich gut erweist. Die Kleingruppe vor mir mit ihrem unerträglichen sächsischen Sing-Sang öffnet die erste Flasche Sekt.

Historischer Moment: Im osteuropäischen Ausland (Tschechien? Ich schäme mich für meine Ignoranz) pfeift und heult es plötzlich auf, das ist nämlich die Lautsprecherdurchsage und man fühlt sich wie in einem Horrorfilm, aufgeschreckt aus dem Sekundenschlaf. Schaurig ist das! Dazu die fremde Sprache mit dem schönen Klang und dem Englisch des Sprechers, das jenseitig weit von verständlich liegt. Hier täte eine Reduzierung der englischen Durchsagen wirklich Not, aber die Leute haben scheinbar andere Probleme oder das Herz am rechten Fleck, jedenfalls redet der Sprecher ziemlich lange und das mit einer Beharrlichkeit, die einen ehrfürchtig werden lässt. Ich nehme mir vor, einen Leserbrief zu schreiben, vielleicht an die Bahn?

Der Blick nach draußen: Schön ist das. Gegen die Gewissheit, noch immer im selben Zug zu sitzen, fühlt man sich wie verzaubert. Auch die Landschaft. Sanft wölben sich die Berge… die eben gelesene Siebeck-Kolumne mit ihrer blumigen Sprache hat sichtbare Spuren hinterlassen.

Prag: Die Brücken sind durch Glasscheiben von der Stadt getrennt, darauf kleben diese Volgelaufkleber, als Warnung für, nun ja, Vögel, und ich finde das unvorstellbar bewegend, weil rücksichtsvoll. Fast alle steigen aus. Es kommen dafür Backpackerinnen, beladen wie Packesel und tschechische Mädchen mit Coffee-to-go und Pferdegebiss und grobe, alte, tschechische Männer.

Dann schlafe ich tatsächlich. Sowieso fallen mit jedem Kilometer Distanz zur Heimat die Hemmungen, bis man wirklich liegt und man merkt es an der Art des Gehens, dass das die Vorbeigehenden als Belastung empfinden, ehrlich.

Dann bin ich wach, staune über die Gleichförmigkeit tschechischer Bahnhöfe, stelle fest, dass ich auf meinem Portemonnaie geschlafen habe und muss lachen über soviel Stereotypie in meinem Kopf, die da noch Platz zu haben scheint, zwischen all den feinen und wilden Gedanken.