Das Leben ist ein Blaubeerkuchen

Wenn es einen Soundtrack gibt für einsame Nächte in fremden Städten in unbekannten Bars, dann muss er von Tom Waits sein. Wenn es einen Film dazu gibt, dann ist das „My Blueberry Nights.”

Zunächst einmal ein freimütiges Bekenntnis. Als große Anhängerin eben jener einsamen Nächte in fremden Städten in unbekannten Bars liegt mir die Thematik dieses kleinen Werks cineastischer Kunstfertigkeit besonders am Herzen. Die Gründe für solche Nächte mögen sich von Fall zu Fall und also von Mensch zu Mensch unterscheiden, von Einsamkeit, daraus folgender Suche nach zwischenmenschlichem Kontakt verschiedenster Art, über Fluchtreflex vorwasauchimmer, bis hin zu bloßer Freude an der schwermütig-heiteren Stimmung, die man gewöhnlich an Ort und Stelle vorfinden kann.

Der Film also beginnt genau so, mit einem Mädchen namens Elizabeth, das aus einer großen Traurigkeit heraus, die natürlich mit dem Ende einer Liebe zusammenfällt, eine Bar, genauer gesagt ein Diner aufsucht, um sich die schwermütigen Gedanken aus dem Kopf zu treiben oder diesen nachzuhängen, je nachdem. Hier trifft sie auf einen Jungen, Jeremy, der ihr zuhört, dabei ziemlich gut aussieht und ihr den titelgebenden Blaubeerkuchen zu essen gibt. Bedeutungsschwer erzählt er ihr, dass dieser Blaubeerkuchen am Ende jedes Abends unberührt bliebe, obwohl er nicht schlechter sei als die anderen und dass das ja schließlich auch im Leben so sei. Was denn, fragt man sich, aber da fühlt man bereits die wunderbare Sogkraft der boy-meets-girl-story, die einen trotz des schon jetzt absolut vorhersehbaren Endes in ihren Bann zieht. Und so schmilzt das Vanilleeis in Großaufnahme in den Kuchen hinein und das Mädchen macht sich schließlich auf, um die große Welt, sprich die Vereinigten Staaten von Amerika zu erkunden.

Ihre erste Station führt sie in eine Stadt, deren Name der Rezensentin nicht mehr einfallen will, was aber auch nicht so schlimm ist, denn es könnte, rein theoretisch, jede amerikanische Großstadt sein, wo sie tagsüber in einem Diner und nachts in einer (genau!) dunklen, schummrigen Bar arbeitet. Hier trifft sie Arnie, einen Trinker im Polizeidienst und schnell werden die Beiden so etwas wie Freunde, denn man braucht jemanden zum Reden in den einsamen Nächten in den unbekannten Städten. Eine der bezauberndsten Szenen ist denn auch die, in welcher sich die Beiden wiederbegegnen, Elizabeth mit Kellnerschürze, Arnie in Dienstuniform, im unbarmherzig-nüchternen Licht des nächsten Tages und sich dabei ein verstohlenes Lächeln zuwerfen.

Um einige Lebenserfahrung und soziale Kompetenz reicher macht sich die Protagonistin bald wieder auf den Weg und ihr nächster Halt führt sie nach Las Vegas. Hier trifft sie auf Natalie Portman in der Rolle einer chaotischen, spielsüchtigen Kindsfrau, die erst einmal Liz’ gesamtes Erspartes verzockt, um es ihr gegen Ende des Films wieder zurückzugeben.

Leider folgt relativ bald die Rückkehr nach New York; man hätte sich weitere und dann eventuell kürzere Episoden gewünscht, was dem Film Leichtigkeit gegeben und die Schwere des neunzig-Minuten-Diktums genommen hätte.

Am Ende also steht Jeremy wie ein Jahr zuvor rauchend in bitterer Kälte – welch schöner Kommentar zum Raucherschutzgesetz – vor seinem Diner und hat wirklich und unglaublicherweise auf sein girl gewartet. So kommt der Zuschauer in den Genuss seiner eigenen wahrhaftigen Urteilskraft, indem er nämlich seine anfängliche Erwartung, die Beiden mögen zueinander finden, bestätigt sieht.

Elizabeth’ Reise erinnert natürlich ein bisschen an den American Dream vom Losziehen-und-sein-Glück finden, if you can make it here – aber war sie nicht schon in New York? Egal, viel wichtiger scheint die Tatsache, dass Norah Jones trotz erklärten schlaflosen Nächten unglaublich fresh aussieht und Jude Law relativ erfolgreich gegen das Bild im Kopf des Zuschauers, nämlich das des Kindermädchenvögelnden Ehemanns, anspielt.

Fraglich bleibt Wong Kar-Weis furchtbare Kameraführung, der exzessive Einsatz von slow motion und die sonderbaren bis gruseligen Perspektiven und Bildausschnitte. Unweigerlich fragt sich der aufmerksame Zuschauer, ob das einfach nur besonders arty wirken soll oder ob das daran liegt, dass der alkoholbedingt-eingeschränkte Blick einer whiskey-seeligen Nacht imitiert wurde.

Für Tom Waits war, nebenbei bemerkt, kein Platz auf dem Soundtrack, dafür für Norah Jones persönlich und endlich, endlich macht ihre Musik Sinn, weil sie nämlich eben jene Stimmung dem ganzen Film entsprechend auf den Zuschauer überträgt, dieses Gefühl der einsamen Nächte in fremden Städten in unbekannten Bars. Wenn dann noch so wunderbare Wahrheiten zur Sprache kommen wie „Ich glaube, die Stadt zu verlassen war für Sue Lynne wie Sterben“, dann möchte man seufzen vor Weltschmerz und Poesie und Glückseligkeit.

Darauf einen Blueberry Pie!