Aw: samstag ist selbstmord

M.,

erklär mir das doch noch mal mit den Männern. Was genau treibt sie samstags in den Baumarkt? Frauen, also T. und mich, die Flügeltür zwischen unseren Zimmern, die keinen Raum für Zweideutigkeiten lässt. Um nicht allzu detailliert in die Existenz der jeweils anderen eingeweiht zu werden, kleidete meine Vormieterin die Tür mit schallisolierender Dämmwolle aus. Fairerweise muss gesagt werden, dass ich es war, die jene an einem lieblichen Frühsommertag im Hof entsorgte und zwar auf recht asoziale Weise – brachial in den Spalt zwischen Restmülltonne und Wand gequetscht – anstatt sie ordnungsgemäß dem Sondermüll zuzuführen. Das passt nicht zu meinem neuem, regelkonformen Ich. Habe ich Dir erzählt, dass ich in Wiener Supermärkten Waren an ihren Platz zurückbringe, selbst die ungekühlten? Dass ich dieses Bollwerk des Wg-Friedens überhaupt entsorgte, hat drei Gründe: Erstens quoll sie so hässlich zwischen dem Bücherregal hervor (wusstest Du, dass Ordnung bei mir ein physisches Wohlbefinden erzeugt?). Zweitens lese ich keine D.I.Y.-Blogs. Drittens vermutete ich darin das Mottennest. Erlaube mir, kurz zu jammern: Wenig bringt mein sanftes Wesen aktuell so sehr in Wallung wie die Tineola bisselliella. Manch einer behauptet, ich bildete mir all das nur ein. Die Theorie, es handele sich hierbei um eine zeitgemäße Form weiblicher Hysterie, ist so haarsträubend, dass sie von Dir sein könnte. Whatever: Ohne Dämmwolle sah das Zimmer gleich viel besser aus. Blöd nur, dass jetzt selbst der Flügelschlag einer Motte im Nebenraum zu hören war. Ein kurzer Besuch im Baumarkt, dachten wir, würde dieses Problem aus der Welt schaffen. Irrtum Nummer eins.

Samstag mittag also zu OBI, OMG. Spaßfaktor von 1 bis 10: -2. Ich hasse es, mein eigenes Klischee zu sein, aber ja: Als jemand, der kaum einen Nagel in die Wand gehauen bekommt, triggert ein Baumarkt meine Hilflosigkeit so zuverlässig wie das faltenfreie Zusammenfalten einer Landkarte. Nachdem uns unsere Grobmotorik gleich durch mehrere Mitarbeiter bestätigt wurde, entschlossen T. und ich uns, statt der hässlichen Dämmwolle auf eine minimalistische Styroporplatte zu setzen, die mit ihrer Anspielung auf den kaputten Glamour New Yorks in den Siebzigern möglicherweise das Zimmer sogar aufwerten würde (manche Menschen schlafen freiwillig auf Holzpaletten). Und das zum selben Preis, mit lediglich einem minimal höheren Anteil an Eigeninitiative. Irrtum Nummer 2.

Wir ließen uns also in der Showküchen-artig nach vorne hin offenen Schreinerei eine Spanplatte „zurechtsägen“ und informierten uns derweil bei Google Maps über die kürzeste Strecke nach Hause. Toll, nur zwanzig Minuten Fußweg! Während wir warteten, umringten uns Männer, die mit aufrichtigem Interesse dem Vorgang des Holzzerkleinerns zusahen wie ich Köchen beim Sautieren von Kräuterseitlingen. Derweil fiel mir eine Stellenausschreibung ins Auge: „Samstagsaushilfe für den Zuschnittservice gesucht! Sie haben Freude im Umgang mit Menschen? Sind belastbar und teamfähig? Dann werden Sie Teil eines innovativen Teams mit hohem Entwicklungspotential innerhalb eines ausgezeichneten Betriebsklimas!“ Weder T. noch mir fiel auf Anhieb ein schlimmerer Job ein, Dir vielleicht? Ich meine: Es ist laut, es fehlt Tageslicht, es riecht nach Chemikalien und bei kurzer gedanklicher Unachtsamkeit (ein Wesenszug, der auch Dich, wie ich unserem letzten Gespräch entnehme, gelegentlich ereilt) ist der Finger ab. A propos gedankliche Unachtsamkeit: Hatten wir überhaupt die Maße der Flügeltür sorgfältig genug abgemessen?

Als der Zuschnittservice unseren Auftrag erledigt hatte, stellten wir fest, dass wir die rund dreißig Kilo schwere Platte nicht mal zur Kasse, geschweige denn nach Hause tragen konnten. Pläne wurden geschmiedet und wieder verworfen: Kein Taxi würde uns mitnehmen, die Platte war viel zu groß für die öffentlichen Verkehrsmittel und meine Fahrerlaubnis ist mehr Schein als Sein. Nachdem sich T.’s Schwester bereit erklärt hatte, am darauffolgenden Montag einen OBI-Miettransporter zu lenken, brachten wir die möglicherweise falsch zugeschnittene Platte zur Lagerung zurück zum Zuschnittservice. Und dann? Bot Servicekraft Willy an, Platte mitsamt Plattenbesitzerinnnen nach Dienstschluss mit seinem Transporter nach Hause zu fahren. Bestand sogar darauf.

Es dauerte sicher länger als zwanzig Minuten und als wir endlich ankamen, war „mein Pulver verschossen” – aber tatsächlich fand die Spanholzplatte samt Styroporplatten, Styroporplattenkleber und Styroporplattencutter den Weg in die Weyringergasse. Außerdem hatten wir korrekt gemessen! Meine Dankbarkeit in Form eines serbischen Pinot Noirs und hochwertiger Bioschokolade lehnte Willy dankend ab. So viel Freundlichkeit macht mich sprachlos, M. „Manchmal ist das Patriarchat gar nicht schlecht“, fiel T. dazu ein. Dass wir kniekurze Kleidchen trugen, wird, denke ich, seinen Teil dazu beigetragen haben. Jetzt müllt der Baumarktkauf die letzten freien Quadratzentimeter des Vorraums voll. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, er bliebe da für immer.

Heute: latent schlecht gelaunt.

Danke übrigens für Deine Einladung. Für eine Runde Hüpfburg bin ich immer zu haben, Austern habe ich mir hingegen im November 2012 in Paris abgewöhnt (dramatische Szenen auf der Damentoilette des Verre volé). Champagner nur, wenn es sein muss.

E.