Kinder, war’n wir durchgeknallt!

In ganz Berlin ist der Sommer beschissen. In ganz Berlin? Nein – zwischen Ostbahnhof und Alexanderplatz, gibt es einen Ort, da scheint immer die Sonne. Das jedenfalls behauptet die Dokumentation “Bar 25 – Tage außerhalb der Zeit.” Für eine Handvoll Menschen war der schmale Streifen Land am Ufer der Spree nicht nur ein Draußenclub, in dem man dem Wochenendeskapismus fröhnte, sondern Alltag. In selbst gezimmerten Blockhütten schliefen sie, gegessen wurde mal im Freien, mal im der Bar angeschlossenen Gourmetrestaurant. Eines muss man dem Team? – der Gemeinschaft? der Bar 25 lassen: Das Ding mit der Selbstinszenierung haben sie perfektioniert. Man nehme: Menschen, die bereit sind, Alltagsstrukturen hinter sich zu lassen, mit einem übernatürlichen Hang zur Selbstdarstellung und einer körperlichen Fitness (sieben Tage wach), die jeden Leistungssportler in den Schatten stellt. Man nehme außerdem: Ein Gelände, das keiner haben will, zu einer Zeit, als die städtischen Behörden offenbar Besseres zu tun hatten, als halb-legale Parties zu sprengen (Bei einer Inspektion des Geländes soll einer der Polizisten gesagt haben: “Was ist das denn hier? Ein Technoclub? Ja, dann machen se mal.”) Man stampfe ferner eine Eventarchitektur aus dem Boden, mit Zirkusarena, Lagerfeuer, Hoppepferdchen und Fotoautomat. Man erschaffe die dazugehörige Ästhetik zwischen Kindergeburtstag (Torte im Gesicht!) und Kirche (Hostien mit Bar 25-Logo). Man stelle eine Frau an die Tür, deren latent sadistische Art von ganz allein dafür sorgt, dass kräftig aussortiert wird. Alles weitere besorgt die Mundpropaganda und das Internet.

Viele der Bar-Bewohner, die sich als Hüter der lokalen Kulturpflege verstehen, sind leider keine geborenen Redner, was an manchen Stellen im Film zum Fremdschämen verleitet. Dabei möchte man doch nachsichtig sein wie mit der kotzenden Freundin, der man die Haare aus dem Gesicht halten muss. Die Zielgruppe des Films dürfte klar sein: Einerseits all jene, welche “die Bar” noch hautnah erleben durften. Für sie ist “Tage außerhalb der Zeit” die Affirmation der eigenen verklärten Erinnerung. Andererseits jene, die gerne dabei gewesen wären, denen heute nichts übrig bleibt, als im Kater Holzig (dem Nachfolger der Bar 25) zu feiern, bevor auch dieser Ort dem Großprojekt “Mediaspree” zum Opfer fällt. Und dann natürlich jene, die damals schon draußen waren und immer draußen sein werden: Angehörige älterer Generationen, Kulturpolitiker, Eltern. Die schütteln den Kopf über ausgewachsene Männer im Glücksbärchikostüm, Konfettibomben und Wodkarutschen.

Konsequent überträgt sich die Logik der After-after-afterparty auch auf den Film. In Endlosschleife ziehen die letzten, dann aber wirklich allerletzten Parties vorüber. Ständig brennen irgendwelche Reliquien, versammeln sich wieder alle Jünger zur kollektiven Bekreuzigung, zählt wieder ein Countdown die letzten Minuten der Neverendingparty. Die Anteilnahme ist groß, auch Männer weinen und das praktisch ironiefrei. Es sei schwer, Kraft zu schöpfen, sagt kurz vor Abbruch des Geländes einer der Bar-Betreiber  und man selbst als Zuschauer denkt: Kraft schöpfen, das müssen andere auch, jeden Tag. Bei all der Verstrahltheit ist es verwunderlich, mit welcher Stringenz Menschen gegen Lokalpolitik vorgehen, die ihren Anrufbeantworter mit dem Text besprechen “Wir sind im Moment leider nicht zu erreichen, versuchen Sie es doch Dienstag ab 12.” Denn allen Spöttern zum Trotz wurde das Großprojekt Mediaspree in Teilen ja wirklich versenkt, wehren sich Anwohner und Berlinliebhaber aus aller Welt gegen Wowereits Großfantasien.

Man merkt dem Film an, dass seine Regisseurinnen Nana Yuriko und Britta Mischer gern und viel Zeit vor Ort verbrachten. Von Objektivität kann keine Rede sein, ebenso wenig wie von kritischer Distanz, dafür sympathisieren Yuriko und Mischer viel zu sehr mit den verrückten Vögeln vor ihrer Kamera. Jeder von denen pflegt seine Neurosen, es wird geliebt und gestritten und ach: Alles so schön bunt hier! Diese Totalselbstbeweihräucherung gipfelt in einer Art Gottesdienst mit dem leicht variierten Vater Unser,”wie im Zirkus, so auf dem Dancefloor” und “führe uns weiter in Versuchung.” Dieser ganze Zirkus ist den Stimmen im Film zufolge natürlich “heute so auf gar keinen Fall mehr möglich.” Warum aber gibt es seit 2011 das Kater Holzig direkt gegenüber dem ehemaligen Bar 25-Gelände, mit deckungsgleichem Konzept (hochpreisiges Restaurant, Lichter in den Bäumen, Hüttengaudi)? Und was ist mit dem Projekt namens Mörchenpark, dessen Spatenstich vor rund einem Monat mit einer dreitägigen Sause gefeiert wurde?

Intellektuell getunt wird die sehr vorhersehbare Narration (vom Beginn der Bar 2004 bis zu ihrem Ende 2010, mit vielen vielen letzten Parties dazwischen) mit Zitaten von Luther und seinem Apfelbäumchen, von Oscar Wilde und Nietzsche. Wobei es schon anmaßend ist, dem Rest der Welt, also allen außerhalb des Bar 25-Betriebs, zu unterstellen, er lebe nicht, sondern existiere nur. Seltsam deplaziert wirkt auch der überzogene Ekel, der zwei der Frauen überkommt, als sie “nach draußen” gehen müssen, “in die Stadt.” Besteht eventuell die Möglichkeit, dass das Filmpersonal unter dem Deckmantel der Subversion genauso didaktisch ist, wie jene braven Bürger, die sie verlachen? Weil sie eintreten für einen Lebensentwurf, dessen unbedingter Wille zum Ausrasten in etwa so peinlich ist wie der für Abireisen werbende Claim “wir feiern nicht, wir eskalieren?” Und auch auf die Polizei ist Verlass, wer sonst sollte die Rolle des Spaßverderbers spielen? Kein Feuerwerk ohne Genehmigung, dies ist schließlich Deutschland – und wie die euphorisierten Partygäste eine Schnute deswegen ziehen, das erinnert an schmollende Kinder, denen man das Spielzeug weggenommen hat.

Ach ja, das Wetter. Über die gesamte Dauer des Films scheint immer die Sonne. Nur am Ende bricht die Realität der vier Jahreszeiten, die Berlin nun einmal hat, ins Geschehen hinein, aber auch nur, um das Ausmaß des Schreckens zu illustrieren. Da fragt man sich schon: Was machten diese Leute im Winter? Wohnten sie das ganze Jahr über auf dem Bar-Gelände? Gab es Heizungen? Denn wer den Berliner Winter kennt, weiß: Es braucht viel, um sich den schön zu reden.

Mit diesem Film ist es ist ein bisschen so, wie wenn man mit seinen Eltern auf dem Sofa sitzt und alte Fotoalben durchblättert. Auf einigen Bildern ist man selbst zu sehen, manchmal schüttelt man den Kopf darüber, manchmal erkennt man sich selbst nicht wieder. Seine Eltern neben sich, die ganz außer sich sind vor Verzückung über die eigenen wilde, unkonventionelle, total durchgeknallte Vergangenheit, findet man, bei aller Nostalgiesehnsucht, vor allem eines: Peinlich.