Witness the Fitness

Zu den skurrilsten Freizeitbeschäftigungen gehören Ausflüge an Orte, die man für gewöhnlich nicht aufsucht. Man muss nicht einmal große Distanzen überwinden; oft warten sie sogar in der unmittelbaren Umgebung darauf entdeckt zu werden, quasi in der Peripherie des eigenen Lebens. Für besonders geeignet werden eingetragene Vereine, Kleingartenkolonien, Volkshochschulkurse (Seidenmalerei!) und öffentliche Verkehrsmittel in der Provinz befunden (wer je die ganz bezaubernde Melodie gehört hat, mit der in den Regionalbahnen des Berliner Umlandes die Haltestationen angekündigt werden, wird mir sicherlich zustimmen). Das Abartige liegt so nah! Es ist immer ein bisschen so, wie wenn man im Zoo exotische Tiere bestaunt oder man bei Mitfahrgelegenheiten auf kleinstem Raum mit einer Handvoll Menschen zusammengepfercht wird, mit denen man nicht mal Kaffee trinken gehen würde: Eine Schule des Lebens, bereichernd, lehrreich, mit großem Aha-Effekt.

Ein Fitness Studio ist so ein Ort. Meinen von analytischem Interesse geleiteten Blick lasse ich durch den Turnhallen-artigen Raum schweifen. Gottseidank riecht es nicht so, wie man angesichts all der heterogenen Ausdünstungen vermuten könnte. Ein bisschen fühle ich mich wie in einem Bühnenbild von Christoph Marthaler, inklusive der Stellvertreter-Statisten in Trainingsanzügen, die sich in unbequemen Leibesübungen ergehen. An den Wänden hängen schlecht designte, ergo wenig ansprechende Plakate, die für Energydrinks und den Spinning-Kurs um 18.30 Uhr werben (auch “Indoorcycling” genannt). Besonders eklatant fällt der stumpfe Blick der Protagonsiten dieser Powerkulisse auf. Während der Übungen verziehen sich ihre Gesichter zu grotesk gequälten Masken, in den Ruhepausen fällt die Mimik in sich zusammen, sozusagen, und weicht einem ziellosen Stieren.

Was für ein herrliches Biotop der Subkulturen da gedeiht! Rechter Hand walkt (oder wie es so schön in Immer nie am Meer heißt: “geht” – Eine Geherin!) die BWL-Studentin bei soliden 3 km/h, vor sich die Beautyseiten der “Glamour” ausgebreitet; zur Linken die Hausfrau mit der schauerlichsten Retro-Frisur, die man sich vorstellen kann, fransiger Kurzhaarschnitt in Aubergine, die Spitzen im Farbton Sunset Red, die ihre Nase in die aktuelle “BUNTE” steckt, zwei Laufbänder weiter keucht der Frührentner mit Walross-Schnauzer, dass man sich fühlt wie im Lungensanatorium. Geradeaus läuft auf einer Leinwand ein Musikkanal, Marke Bezahlfernsehen, mit dem Schlechtesten der vergangenen zwanzig Jahre, immerhin aber auch “Lass die Sonne rein” von den Fantastischen Vier, auf einem kleineren Flachbildfernseher “gotv”, seinem Selbstverständnis nach “Österreichs erster TV-Sender für junge Leute”, der viel Wert auf Musikclips mit dem Prädikat “Made in Germany” legt. Als Schmankerl zwischen Sasha und Bel Book and Candle gibts eine wilde Tanzparty mit schwarzen Mädchen in Bustiers und orangerotem Lippenstift und einem Typ mit Nerd-Brille und Hipstertolle. Das leitet über zu der Frage, ob es sich hierbei um eine äußerst geschickt persiflierte Bad Taste Party handelt oder einfach um irgendeinen Clip aus den 80ern, den ich als Folge der Überflutung kultureller Codes und sozialer Zeichen sofort in meine Gegenwart hinein interpretieren muss. Überhaupt rauschen diverse theoretische Exkurse durch mein mit ungewöhnlich viel Sauerstoff versorgtes Gehirn: Fragen der Biopolitik, des Jugendkultes und der Über-Ästhetisierung von Durchschnittskörpern. Ich frage mich nämlich, wie viele der Anwesenden mit ihrem Workout Komplexe kompensieren, respektive glauben, ein attraktiver Körper führe zu Erfolg, Liebe etc. pp., wobei der attraktive Körper natürlich eine Frage der Definition ist. Ich für meinen Teil finde die aufgepumpten Oberarme und glattrasierten und ölig glänzenden Waden nur mäßig erregend. Auch der milchgesichtige Typ in Tarnfarben-Jogginghose und Muskelshirt, der all seine Übungen so ausführt, dass er sich dabei im Ganzkörperspiegel beobachten kann, wäre jetzt eher kein Wunschkandidat. Vielleicht aber der Sportwissenschaftsstudent hinter der Saftbar? Marius studiere in Frankfurt/Main und jobbe hier in der vorlesungsfreien Zeit. Ein ganz Netter sei das, wispert mir eine Stimme ins Ohr, ob das nicht mein Typ sei?

Dicht an dicht drängen sich die Geräte aneinander wie mittelalterliche Folterinstrumente. So anders wird eine Streckbank auch nicht ausgesehen haben, zumal sie wirklich höllische Schmerzen bereitet. Ständig fürchte ich, dass gleich einer der vitalen Mitarbeiter kommt, das blondierte Mädchen von der Getränketheke (Eiweiß Shake klein: 1,40 €, Eiweiß Shake groß: 2 €) oder, noch schlimmer, Marius, um mir zu sagen, dass ich mich völlig falsch bewege, das Gerät quasi missbrauche und so garantiert mehr falsch mache als richtig. Erschwerend kommt hinzu, dass ich eigentlich auf diesem Sitz, der mich an die Euro-Mir-Achterbahn im Europa Park erinnert (wegen dieser Vorrichtung, die von oben herunterfährt und auf Schultern und Brustkorb drückt) meine Bauchmuskeln spüren sollte, bei mir aber nur die Wirbelsäule unangenehm knackt. Zweifellos das größte Leidens-Potential hat ein Gerät, auf der man eine Position einnimmt, die jener auf diesem Beine-Spreiz-Stuhl beim Gynäkologen verdächtig nahe kommt. Wer nicht wagt!, denke ich – und fühle mich Sekunden später wie bei der Geburt des ersten Kindes.

Während ich noch überlege, welche Bewegungen ich morgen nicht werde ausführen können (Vermutung: Fast alle), schleppe ich mich zum Side-Stepper, das ist dieses Ding mit den Nordic Walking Stöcken an der Seite, das einen Aufstieg simuliert (wie es ja überhaupt bei allem hier darum geht, irgendetwas zu simulieren). Scheint erst mal Spaß zu machen, ist aber wie alles sehr viel anstrengender, als es aussieht. Nach lediglich sieben (!) verbrauchten Kalorien werfe ich das Handtuch, sozusagen, das aus hygienischen Gründen immer den Sportlerkörper vom Sportgerät zu trennen hat. Zum Schluss also lieber Laufband. Zwanzig Minuten, gute 10 km/h, da muss man sich auch vor der Nebenläuferin nicht schämen. Deren Pulswärmer sind farblich auf ihre sehr tighten Leggins abgestimmt und ihrem Make Up nach zu urteilen, zieht sie direkt im Anschluss weiter in den R’n B Club. Klar, es geht ja im Fitness Studio nicht zuletzt darum, ein bisschen zu flirten oder vielleicht sogar einen Partner für private Leibesübungen zu finden (ich konnte der Metapher nicht widerstehen). Auf die anschließende Dusche verzichte ich vorsichtshalber, das heißt, hebe sie mir für zuhause auf. Das liegt weniger an der unsäglichen Fliesendekoration im Waschraum (Sonnenblumen und pinke Tulpen), als vielmehr an einer von klein auf anerzogenen Fußpilz-Phobie. Genug für heute mit der theoretischen Fleischbeschau und dem beschwerlichen Selbstversuch! Selten hat ein Ausflug ins Submilieu solchen Muskelkater bereitet.