Heroin is so passé

Es gab einmal eine Zeit, da war es schick jung, zerstört und möglichst verwahrlost auszusehen. Je mehr Exzesse ihre Spuren hinterlassen hatten, desto besser. Die berühmteste Anhängerin dieses so genannten Heroin Chics war derzeit Kate Moss; heute könnte man sie im Vergleich zu früheren Fotos beinahe als “wohlgenährt” bezeichnen. Mit der Mode (zerrissene Shirts, Laufmasche in der Strumphose, verschmiertes Make-Up und Out of Bed-Frisur) verschwand bis auf wenige Ausnahmen – Agyness Deyn! – auch das Schönheitsbild des kaputten Magermodels. Traurige letzte Vertreterin war Amy Winehouse, für die, wenn man so will, diese Idee von Ästhetik tödliche Folgen hatte.

Christian Kaiser und Corinna Engel, die im richtigen Leben als Lehrer arbeiten, in der Kunst aber ihre wahre Berufung sehen, legen mt Heroin Kids einen Bildband und eine dazugehörige DVD vor, die Fotos von ausgemergelten, verstört dreinschauenden, auf jeden Fall drogenabhängigen Minderjährigen versammeln. Dürfen die das? Dürfen sie nicht, so jedenfalls hat die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien (BLM) entschieden. Kaiser und Engel zufolge gehe es ihrem Gegenspieler bei dem monatelangen Prozess längst nicht mehr um ihr engagiertes Projekt, sondern darum, ein Zeichen zu setzen und künftig “Kunst im Internet in ganz Deutschland ohne Probleme zensieren zu dürfen.” Auf der Website kann sich der interessierte Leser einen Überblick über die juristischen Konsequenzen, die das Projekt bis dato nach sich zog, verschaffen und über die Aufmerksamkeit, die Heroin Kids in den Medien hervorrief. Es findet sich auch ein Video, in dem das Pärchen sich für die Unterstützung von wem auch immer bedankt und gerne einen leidenschaftlichen Beitrag zur künstlerischen Freiheit leisten möchte. Ekelhaft, wie man hier mit dem Kunstbegriff hausieren geht, denkt man sich und versteht die Welt nicht mehr. Was bewegt Eltern dazu, ihr eigenes Kind vor eine Kamera zu zerren, um ihm einen Auftritt im furchtbar amateurhaften Youtube Clip zu verschaffen, der die Zuschauer aufruft, für den Prozess der demnächst gegen die BLM und den Freistaat Bayern geführt wird, aufgepasst, via Paypal zu spenden (Zitat: “Es kann nicht sein, dass die nur gewinnt, weil sie uns finanziell ausbluten lässt.”)?

Kaiser und Engel berufen sich auf die Demokratie, aber Demokratie heißt nicht, dass man machen kann, was man will und sich nur immer schön auf das Recht der uneingeschränkten Freiheit berufen kann, ebensowenig wie das Prädikat “Kunst” als Freifahrtschein missbraucht werden darf. Dass genau das der Fall ist, fängt damit an, dass um das Erscheinungsdatum des Bildbandes ein riesen Tam-Tam veranstaltet wird, inklusive limitierter Auflage (2000 Stück!) und Verschieben des Termins, wie es sich für einen ordentlichen Verkaufsschlager gehört und endet damit, dass die Vernissage Mitte Juli im Berliner Haus am See stattfand – ohne Buch zwar, dafür mit Drucken an der Wand, After Party und bestimmt sehr leckeren Drinks. Die Zitate auf der offiziellen Website sind ohne Hinweis auf deren Quellen aufgeführt und gleichen eher einer wilden Mischung von ernst zu nehmenden Rezensionen, O-Tönen unbekannten Ursprungs und Facebook Kommentaren (“… krank, einfach nur abartig, sowas sollte verboten werden…”). Dafür sparen die Künstler an anderer Stelle nicht mit auf alles und nichts anwendbaren Floskeln wie “Es geht darum, eingefahrene Denkstrukturen aufzubrechen und neue Sichtweisen auf die Welt zuzulassen.” Am Ende geht es ihnen aber um Schönheit, na klar.

Man kann sich die Reaktion der Beiden (die übrigens eine gewisse Ähnlichkeit mit den trashigen Mitgliedern von HGich.T haben, mit dem Unterschied, dass Letztgenannte mit viel Selbstironie die Mechanismen des Kunstmarktes ins Lächerliche ziehen) auf die hier dargelegten Argumente leicht ausmalen: Reaktionär, spießig, die ästhetische Wahrnehmung von einem konservativen Kulturbegriff benebelt (okay, sie würden es wahrscheinlich ein wenig anders formulieren.). Wenn man sich ihre Rechtfertigungen aufmerksam durchliest und dabei von den zahlreichen Rechtschreibfehlern und der mangelnden Kenntnis von Zeichensetzung absieht, drängt sich der Verdacht auf, dass Kaiser und Engel von Fotografie genauso wenig Ahnung haben wie von Orthografie. Mehr Schein als Sein? Dazu passt dann auch der Hinweis der BILD Zeitung, dass einige der Fotos gestellt seien, andere nicht.

Also noch einmal die Frage: Ist das Kunst? An kunsthistorischen und zeitgenössischen Bezügen mangelt es nicht. Baudelaires Künstliche Paradiese sind nicht das Zeugnis eines keuschen Lebenswandels, die Farbgebung bei Van Gogh wäre ohne dessen enormen Absinth-Konsum niemals so leuchtend und innovativ ausgefallen und die Literatur eines Hunter S. Thompson oder Charles Bukowski gehört ohne Frage trotz der Kaputtheit ihrer Schöpfer zu den ganz Großen. Wenn man dann noch an Filme wie Larry Clarks Kids oder Kenpark denkt, muss man zugeben, dass sich ästhetische Kategorien und der Konsum verbotener Substanzen nicht zwangsläufig ausschließen. Entscheidend ist nicht das Was, sondern das Wie. Wenn der Inhalt eine derartige Form verlangt, warum nicht? Dann stellt sich die Frage: Dürfen die das? nicht mehr, denn: Sie müssen. Einen Mangel an Inhalt durch ein Zuviel an Form auszugleichen, ist dagegen kaum mehr als eine hilflose Geste und ein Hinweis auf wenig Kreativität – auf jeden Fall ist es keine Kunst.

Welche Haltung soll man den Heroin Kids gegenüber einnehmen? Zensur! möchte man als liberal denkender Mitbürger rufen und dazu muss man sich nicht einmal auf ethische Grundfesten und moralische Kategorien berufen (und das will was heißen). Zensur kann aber natürlich in einer Demokratie keine Lösung sein; ehrlicherweise muss man zugeben, dass jede Aufwallung des Gemüts, die sich in patzigen Kommentaren äußert, jede Hasstirade, die sich in wütenden Feuilleton Artikeln (so gesehen in der Süddeutschen und im Focus) Luft macht, dem “Projekt” die Art von Aufmerksamkeit verschafft, die es nicht verdient hat.  Mit der selben Nonchalance, mit der die Dandy Warhols einst feststellten: Heroin is so passé müsste man diesem völlig indiskutablen, in jeder Hinsicht unbrauchbaren Projekt, das heißt seinen Schöpfern begegnen: Strafe durch Unaufmerksamkeit. Das wäre mal subversiv.